‚runter kommen sie alle

Gestern Morgen entdeckte ich auf dem abgeernteten Feld zuerst dieses neonpinkorange-farbene, zerfetzte Ding, im Näherkommen erkannte ich die dünne weiße Schnur und kurz darauf erreichte ich das geheimnisvolle polystyrol-ummantelte Päckchen, das dazu gehörte. Zuerst dachte ich an einen Luftballon mit Absender, dann entdeckte ich die Antenne, wie man sie von ferngesteuerten Spielzeugfahrzeugen kennt. Unter einer verklebten Folie war ein beschrifteter Zettel erkennbar. Ich wickelte die lange Schnur in der Hoffnung auf, damit auch das bunte Ding angeln zu können, aber leider war die Schnur gerissen. Auf den matschigen Acker wollte ich nicht gehen, sondern zoomte statt dessen nur die Fetzen für’s Foto näher heran, dann entfernte ich die kleinen Schnecken von dem Päckchen und nahm mein Fundstück mit nach Hause. Dort legte ich das regennasse Ding neugierig Schicht für Schicht auf dem Tisch auseinander:

Es gab außenherum eine Art Banderole aus stabilem Kunststoff mit einer stabförmigen Halterung, an der die Schnur befestigt war. Diese Banderole umfasste das Polystyrolpäckchen mit dem Infozettel in Klarsichtfolie dazwischen. Aus der Unterseite des Päckchens ragte die an Kinderspielzeug erinnernde Antenne, an der ein grünes Gummiband mit nicht mehr eindeutig erkennbarer Aufgabe befestigt war.

Ich fand es sehr interessant, das Thema zu googeln. Einerseits, weil ich mich über ein Jahrzehnt seit dem vielfachen Ansehen einer Video-Episode der Kinder-Serie „Der kleine Eisbär“, in der Lars Eisbärs Freundin, das Schneegänschen Pieps beinahe mit einem Wetterballon davonfliegt, nicht mehr mit dem Thema Wetterballons beschäftigt hatte, andererseits wegen der Entsorgung, zu der die möglichen Finder auf dem Beipackzettel aufgefordert sind: Was entsorgt man da eigentlich alles, materiell und finanziell?

Bei meinem Fund handelt es sich um die Radiosonde eines Aerologisches Aufstiegsgespannes, den Nachrichten übermittelnden Teil eines Wetterballons. Diese Sonde der Fa. GRAW Typ DFM-06 mit der Nummer 302764 wurde gemäß beigelegtem Zettel an einem nicht näher bestimmten Tag vormittags um 10:35 Uhr mit ihrem Ballon abgesandt von der Wetterwarte des TruppenÜbungsPlatzes Bergen-Hasselhorst. Das liegt etwa 90 km Luftlinie westlich von hier, in der Lüneburger Heide.
Die Flugdauer ist leider wegen der fehlenden Datumsangabe nicht bekannt.
Die Reste mit dem neonfarbenen Brems-Fallschirm hatte ich bereits am Abend zuvor in der Dämmerung niedergehen sehen und mich schon gefragt, was ich da wohl gesehen hatte. Da kam das Teil allerdings von Nordosten hergeflogen, hatte also sicher mehr als die gerade Strecke zurückgelegt.
Durchschnittlich sollen sie im Umkreis von einhundert bis dreihundert Kilometern wieder zu Boden kommen, in unseren Breiten im Allgemeinen östlich vom Entsendungsort, da die übliche Windrichtung Westwind ist. Der Kreis Lüchow-Dannenberg liegt allerdings mit seiner zwar nicht hohen, aber wirksamen Wetterscheide, dem Höhenzug des Drawehns, auf dem Schnittpunkt von atlantischem und kontinentalen Klima und so hat dieser spezielle Ballon vermutlich eine Strecke Rückweg auch noch hinter sich gebracht.

Weltweit werden zweimal täglich mehr als 850 Radiosonden gestartet.
Auch in Bergen-Hasselhorst werden 2x täglich mit Gas (Helium oder Wasserstoff) schlaff gefüllte Latexballons zur vertikalen Schichtenanalyse der Luftschichten bis in die Troposphäre (ca. 35 km Höhe) entlassen, wo sie sich im Aufstieg durch den geringer werdenden Luftdruck bis zu etwa 10 m Durchmesser entfalten; dabei werden mit Sensoren Basisdaten für die Wettervorhersage gemessen und mit der per GPS ermittelten genauen Position per Funk im Sekundentakt übermittelt: Temperatur, Luftfeuchte, Luftdruck und Windrichtung werden gemessen bzw. durch das Flugverhalten des Ballons errechnet. Auf der Gipfelhöhe, bei Temperaturen um -65,0 °C und bei maximaler Ausdehnung, ist das Latexmaterial überstrapaziert, der Ballon platzt und das Modul stürzt ab, gebremst durch den „Fallschirm“. Alle Teile sind durch Schnüre verbunden, wobei sich die Radiosonde ca. 30m unter dem Ballon befindet. (Darum also hatte ich so viel Schnur aufzuwickeln.)

Solche Ballon-Aufstiege müssen beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt angemeldet sein, was bei der o.g. Endgröße eines solchen Ballons nur allzu logisch erscheint.
Die Aufstiege können inklusive Material- und sonstigen Aufwandskosten zwischen 300 und 400 € Gesamtkosten betragen, wieder verwendet wird von den Materialien nichts.
Eventuelle Finder werden auf dem mitgegebenen Formblatt gebeten, die gefundenen Teile sachgerecht zu entsorgen (was demnach wären: Polystyrol, Batterien, Elektroschrott und Restmüll ) oder im Zweifel gegen Erstattung der Versandkosten an die Bundeswehr nach München zu schicken.
Andererseits soll es ein Hobby sein, diese Radiosonden zu ermitteln, abzuhören und „zu jagen“. Warum – ich weiß es nicht. Vielleicht ist das eben doch wie Angeln, bloß dass man nicht nachher etwas mit Gräten drin essen muß.

Mehr über das interessante Thema kann man auf der Webseite > www.radiosonde.eu nachlesen.

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14 Gedanken zu “‚runter kommen sie alle

  1. typische Beamtenbezeichnung „aerologisches Aufstiegsgespann“ – herrliche Wortschöpfung.. 😉 ist fast so schön wie ein
    „Einkaufsverbringungsbehältnis“ wenn die Aldi-Tüte gemeint ist..
    Finde ich aber spannend diesen Fund – so könnte ein Agentenkrimi anfangen. Überlege auch Koslowski aus seiner 3jährigen Stase zu erlösen um meiner neu gewonnenen Dauer-Freizeit einen gehirnfordernden Anstrich zu geben. ^^

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  2. Vor annähernd 50 Jahren habe ich von dem TÜP bei Bergen und anderen häufiger mit Wasserstoff gefüllte Wetterballons fliegen lassen. Allerdings gab es damals keine Sonden, sondern die Ballons, die einen tetraederförmigen metallischen Reflektor trugen, wurden per Radargerät verfogt. Windrichtung und Windgeschwindigkeit in verschiedenen Höhenstufen wurde damit bestimmt, um die Windeinflüsse bei Artilleriegeschossen zu ermitteln. Die Daten sind dann in die Berechnung der Flugbahn der Geschosse eingeflossen. Und ja, ich habe den Wehrdienst nicht verweigert.

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    • Die Verwendungsmöglichkeiten sind vielfältig, das habe ich auch gelesen. Vermutlich ist es erheblich interessanter, sich aktiv mit den Dingern und ihrer Funktion zu befassen, als sie nur zu finden.

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  3. Vor ca. 30 Jahren ist bei uns im Garten ein sowjetischer Wetterballon gelandet. Der Ballon war offenbar erst an einem Baum geplatzt und hatte die Sonde noch ca 150 Meter nachgeschleift – erkennbar an den Spuren im Schnee. Die Sonde hatte da aber schon jemand aus der Nachbarschaft „geklaut“, ohne was zu sagen (was mir heute noch stinkt ) 🙂 und bei der Polizei abgegeben. Der zerplatzte Ballon hatte sich zum Teil über den Baum gebreitet und der „Fallschirm“ war noch dran, mit russischer Beschriftung. CCCP und anderes.

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  4. Toller Fund! Ich würde auch gerne mal einen aus der Nähe sehen. Während meiner Grundschulzeit habe ich einen Ballon längere Zeit, scheinbar bewegungslos, in hoher Höhe gesehen und ihn für ein UFO gehalten 🙂

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    • Das scheint oft vorzukommen, Uta, dass diese Dinge auch von Erwachsenen für Ufos gehalten werden, habe ich auf der zweiten von mir im Artikel verlinkten Webbeiträge gelesen.
      Darum hat jemand in dem Grenzwissens-Forum einen gut recherchierten Eintrag über Wetterballons geschrieben, mit dem auch die von mir genannten Kosten begründet gesehen habe, nachdem ich anderswo nur lapidar „300-400 Euro pro Aufstieg“ gelesen hatte.

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  5. Spannender Fund und aufschlussreiche Hintergrundinfos! Ich habe noch nie einen Wetter-/Atmosphärenballon gefunden und wusste auch nicht sehr viel drüber…

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  6. Ich hab ma Kabel auf meinem Moor-Grundstück gefunden. Die führten zur nächsten Sprengleitung für Gas-Bohrungen. Und einma iss 1 Bunneswehr-Hubschrauber gelandet. Der flog aba wieda wech, bevor ich ihn zerhacken konnte.

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