Es war schon Nachmittag, als ich am 11. April 2015 die Rambla dels Caputxins überquerte und die Carrer Nou de la Rambla hinunterging, in den Stadtteil El Raval hinein.
Was wie eine seltsame Burg mitten in der Stadt wirkt, ist der vom modernistischen Architekten Antoní Gaudí für seinen Förderer Eusebi Güell entworfene und zwischen 1886 und 1890 fertiggestellte Palau Güell, Carrer Nou de la Rambla, 3-5.
Die Fotos – zum Vergrößern bitte anklicken! – wirken durch das nachträgliche Ausgleichen der Schatten erheblich freundlicher als mein direkter Eindruck vom Palau Güell in jenen Augenblicken tatsächlich war. Den bunten, Gaudí-typischen Zierrat auf dem Dach sieht man von der Rambla kommend nicht, erst von der gegenüberliegenden Straßenseite, einige Häuser weiter hinten.
Im unmittelbaren Vorbeigehen empfand ich instinktive, von mir selbst als kindlich empfundene, gruselnde Abwehr gegen das eisenbewehrte Gemäuer. Verrückt von mir oder beabsichtigte Wirkung der Kunst Gaudìs, mit der „Burg“ am Rande des von sozialer Armut beherrschten Stadtteils El Raval präventiv für Distanz zu sorgen?
Der reiche Bauherr Eusebi Güell i Bacigalupi – Erbe, Industrieller, Politiker und Mäzen – war seinerzeit als humanistisch denkender und sozial handelnder Geschäftsmann bekannt und es heißt, er habe gerade darum das Grundstück für den Bau seines Stadthauses gewählt; die wohlhabende Nachbarschaft an den Ramblas, das Opernhaus Gran Liceu und der seit 1883 unter der Regie des Städteplaners Ildefons Cerdà an der Avinguda del Paral·lel entstehende Theater- und Veranstaltungs-Boulevard waren sicherlich anziehend genug, um das bereits familieneigene Grundstück prachtvoll zu bebauen – nach dem Zukauf und Abriss vorhandener Häuser und mehrmals abgelehnten Bauanträgen: ein früher Fall von Gentrifizierung im El Raval.
Nach dem Tod des Grafen und dem Übergang des Erbes innerhalb weniger Jahre zwischen 1918 und 1933 von seiner Frau über zwei der Töchter und endgültig 1945 hatte die Familiengeschichte mit dem Haus anscheinend kein Glück mehr; 1935 verließ die Familie Güell das Wohnhaus, es kam zu einem Prozess zwischen der Erbin Mercè Güell und Stadt Barcelona. Während des Bürgerkriegs wurde ihr Haus von der Polizei benutzt, danach überließ die unverheiratete Erbin es 1945 unter Auflagen des Erhalts für kulturelle Zwecke dem öffentlichen Besitz, im Austausch gegen einen Lebensunterhalt für sich und starb nur neun Jahre später … (Wie ganz und gar burggemäß den Frauengeschichten in historischen Romanen gleichend!) – Seit 1984 zählt der Palau Güell zum Weltkulturerbe der UNESCO.
Auf dem offiziellen Youtube-Kanal des Palau Güell habe ich als Ergänzung zu meinen Fotos zwei Videos ausgesucht:
Das erste bietet in Gestalt zweier korrespondierender Bilder-Alben eine Draufsicht auf die familien- und baugeschichtlichen Hintergründe der Familie Güell und der späteren Verbindung zwischen Eusebi Güell und Antoni Gaudí, das zweite zeigt in Schwarzweiss die Original- Innenausstattung.
> GÜELL I GAUDÍ | Palau Güell-YouTube–
Ungeduldige können auch gleich bis zur Minute 5:57 vorgehen, ab wo nach den Erklärungen (auf Katalanisch) der geschichtlichen und persönlichen Vorgeschichte Bilder gezeigt werden vom Palau Güell. Ich finde aber, es lohnt sich, das Ganze anzusehen, ungeachtet dessen, ob man alles versteht oder nicht.
Das Video darunter findet sich in derselben Playlist und zeigt die Original-Inneneinrichtung 1888-1895 mit einigen von Gaudí entworfenen entworfenen Möbeln.
> Palau Güell: la decoració original | Palau Güell-YouTube
Die Größe des Gebäudes scheint nicht nur repräsentativen Bedürfnissen entsprochen zu haben, sondern auch einer großen Familie mit insgesamt zehn Kindern, von denen erst das letzte, Mercè, 1889 dort geboren wurde.
Die erstgeborene, beim Einzug 16jährige Tochter Isabel bekam sogar ihr Schlafzimmer inklusiv Mobiliar von Gaudí höchtspersönlich gestaltet. Gefunden hier > PALAU GUELL | Just another WordPress.com site
Nun ist es aber genug: der Artikel ist durch die phantasieanregenden Geschichten drumherum viel umfassender geworden, als ich es bei meinem ersten Eindruck angenommen hätte!
Von der Carrer Nou de la Rambla war es auch nur noch ein Katzensprung zur Rambla del Raval, und mit einer Runde um den freundlichen ‚dicken Kater‘ von Fernando Botero beendete ich den Tagesausflug und streckte im schattigen Appartement alle Viere von mir: auch ein Ferienappartment kann einem eine kleine Burg sein.
Fotos vom Nachmittag des 11. April 2015, El Raval, Barcelona – zum Vergrößern bitte die kleinen Bilder in der Galerie anklicken!
Auch auf mich wirkt der Palau Güell insgesamt unfreundlich bis schaurig … vor allem unten (Erdgeschoss). Weiter oben wird das Gebäude dann zwar etwas freundlicher/verspielter, kann aber meinen Gesamteindruck davon kaum verbessern, es bildet eher einen befremdlichen „innerbaulichen“ Kontrast.
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Ich bin froh, nicht allein so zu empfinden, denn ansonsten liest man überall nur nur folgsame Bewunderung.
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