Das untere Ende der Jan Breydelstraat mündet nach der Vereinigung der Flüsse Lieve und Leie in die Strasse links der Leie, genannt Korenlei, gleich an der Grasbrug. Auf dem Foto blickt man Leie-abwärts, Richtung Vleeshuisbrug / „Fleischhausbrücke“, einer Halle aus Bruchstein aus der Zeit vor der modernen Kühlhaustechnik, hier aber verdeckt von den Häusern mit Treppengiebeln aus rotem Backstein am anderen Ende der Brücke:
Gegenüber entdeckte ich auf dem linken Ufer etwas hinter der Fensterreihe vom Restaurant ‚Oude vismijn‘ die Lücke zwischen den Hausgiebeln, aus der heraus ich vom Balkon auf den Fluss und das Vleeshuis sehen konnte, > genau hier.
Die Namen der Flussufer Korenlei und Graslei machen deutlich, dass die alte Tuchmacher-Stadt Gent in ihrer früheren Zeit ein regeres Handels- und Flusshafenleben hatte, als dem heutigen Besucher angesichts der Giebelreihen der zu Restaurants umgewandelten alten Handels- und Lagerhäuser erkennbar ist. Heutzutage liegen da ja nur noch Boote für Freizeit und Tourismus. mit denen man sich herumfahren lassen kann. Auf dem nächsten Foto sieht man die Häuserreihe der Graslei von der Abendsonne beleuchtet, von der Grasbrug herunter fotografiert:
Die spätgotischen Treppengiebel sind zum Teil reich verziert, meist stammen sie aus dem 15. und 16. Jahrhundert, aber durchaus an Häusern wesentlich älteren Ursprungs. Das älteste Gebäude aus Kalksandstein, das Korenstapelhuis bzw. Spijker ist ein romanischer Weizenspeicher (hinter den schwarzen Sonnenschirmen) aus dem 12. Jh.. Als Handelsanleger, Speicher- und Kontorstätte dient dieser alte Teil Gents schon mindestens seit dem 11. Jh., zum Beispiel für Getreide aus dem Artois in Nordfrankreich, das über die Leie transportiert wurde. Die Stadt Gent hatte damals das sogenannte > Stapelrecht und war somit die wichtigste Stadt für den Getreidehandel in Flandern. Hinter der Reihe Giebel ist ein hoher Turm mit Uhr zu sehen. Der gehört zum großen Gebäudekomplex des Alten Postamts, neben der St. Michaels-Brücke, das zur Weltausstellung von 1913 in eklektischem Stil errichtet worden war. Rechts der steinernen Brücke steht die St. Michaelskirche, beide sind später noch einmal besser vor die Kamera gekommen.
Oben sieht man die Uferseite gegenüber der Graslei, die Korenlei, rechts im Bild wieder die Grasbrug und im Hintergrund sogar die Burg, der Gravensteen. Auch diese Uferseite der Korenlei ist hauptsächlich der Gästebewirtung und Hotellerie gewidmet, nicht mehr dem Handel mit Gütern. Unter den Schirmen sah ich auf vielen der Restaurant-Tische große Töpfe vor den Gästen stehen: es wurden Moules-frites gegessen, das sind Miesmuscheln im Gemüsesud mit Pommes frites. Es war Freitagabend und nicht nur die Tische waren voll besetzt, auch jedes Mäuerchen, auf dem man sitzen konnte, war belagert von vielen jungen Leuten, die nicht das Geld in Restaurants ausgeben wollten, sondern Getränke und Tüten mit Kartoffelchips mitgebracht hatten. Aber alle Besucher genossen die schöne, sommerliche Abendstimmung mit ihrem goldenen Licht über Wasser und Fassaden. Hier sind einige einzelne Giebel zu sehen, einen von der leider im Schatten liegenden Korenlei-Seite, nämlich auf dem ersten Bild die barocke Fassade des Gildenhuis der Onvrije Schippers (das Gildehaus der Unfreien Schiffer) und drei von der Graslei gegenüber – zum Vergrößern bitte anklicken:
Das wären – auf dem 2. Foto – Den Inghel („Der Engel“) mit einer Fassade, die 1912 im Hinblick auf die kommende Weltausstellung durch Architekt Amand Robert Janssens nach dem früheren Erscheinungsbild des Gildenhauses der Maurer aus dem 14. Jh. in der Cataloniëstraat vor das mittelalterliche Gebäude an der Graslei „kopiert“ wurde. Der „Engel“ soll hingegen früher der Brauergilde gedient haben. Auf dem 3. Bild ist das Tweede Korenmetershuis (das zweite Haus der Kornmessergilde) mit der barocken Fassade von 1698 vor einem ebenfalls älteren Haus, und auf dem vierten und letzten Foto in der Reihe ist das Gildehuis der Vrije Schippers zu sehen. Bevor es 1530 in den Besitz der Gilde der Freien Schiffer kam, gehörte es der Müllergilde und hatte eine schlichtere Fassade mit Holz, 1531 bekam es sein reiches Aussehen aus Stein gemäss dem Wohlstand der Freien Schiffer. Das Haus hatte nach dem Ende der Gilde im 17. Jh. den Besitzer und seine Optik gewechselt, in den ersten Jahren des 20. Jhs. wurde wieder das Aussehen im (neu)gotischen Stil hergestellt, so dass zur Genter Weltausstellung zwischen Grasbrug und St. Michielsbrug (siehe Bild unten) eine imposante Fassadenreihe präsentiert werden konnte.
Wie oben angekündigt, komme ich also noch einmal an diesem Abend auf die Michaelsbrücke und die Kirche St. Michael zurück. Die steinerne Bogenbrücke wurde zwischen 1905 und 1909 in Ausrichtung auf das vom selben Architekten Louis Cloquet geplante und damals neue (1898-1910) Oud Postkantoor über die Leie gebaut. Die Sint-Michielskerk im spätgotischen Stil wurde 1440 begonnen, aber erst 1825 fertiggestellt. Natürlich habe ich an diesem Abend die Brücke überquert und bin auf der im abendlichen Schatten liegenden Korenlei – ganz und gar fotolos – zurückgeschlendert, bis ich wieder an der Grasbrug angekommen war. Von dort ging es über den nicht minder dämmerigen Groentenmarkt zu einer weiteren Brücke über die Leie, zur Vleeshuisbrug. Die trägt ihren Namen natürlich nach der ehemaligen Fleischmarkt- und Gildehalle der Genter Fleischer, dem Vleeshuis aus dem 15. Jh., vom Balkon aus hatte ich das langgestreckte Gebäude mit den vielen gestuften Fenstergiebeln schon gesehen. Die beiden nächsten Bilder habe ich von der Vleeshuisbrug aus gemacht:
Auf dem oberen Foto ist das Vleeshuis zu sehen, der schmale Fussweg ( Vleeshuistragel ) daran entlang zur Grasbrug , sowie ein paar Häuser an der Korenlei, auf dem unteren sieht man nach der anderen Seite, die Kraanlei entlang, wo es weniger historisch imposant, aber auch sehr malerisch aussieht:
Die Kraanlei trägt ihren Namen zwar wegen eines Krans, aber natürlich nicht wegen dieses modernen Baukrans auf dem Bild, sondern wegen eines grossen, von Kranarbeitern mit ihrer Kraft in einem Tretrad mechanisch angetriebenen Holz-Ladekrans, der dort im 16. Jh. zum Laden schwerer Güter wie Weinfässer und grosser Ballen verwendet worden ist. Von ihm ist nichts mehr zu sehen, ich bin nachsehen gegangen – davon aber erst später, denn an dieser Stelle passt es wieder gut, diesen Eintrag mit Fotos vom Abend des 21. August 2015 zu beenden, in Gent, Flandern, Belgien.
Auch wieder alles sehr schön !! Die vielen verschiedenen Giebel und Fassaden, dazu das Wasser….da kann ich mir einen Sommerabend auch sehr gut vorstellen 🙂
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Ich wäre gern im Winter noch einmal dort, das muss auch schön sein.
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Schöne Fotos wünsche ein schönes und glückliches Wochenende lieber Gruß Gislinde
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Vielen Dank, Gislinde, das wünsche ich dir auch (-:
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Gent ist offenbar (und eigentlich auch verständlicherweise) – nicht nur wegen geringerer Größe und politischer Bedeutung – um einiges malerischer und gemütlicher als Brüssel. Deine Fotoauswahl schon gleich vom ersten Stadtbummel bringt das ausgezeichnet ‚rüber.
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Gent ist, wie mir ein einheimischer Architekt erklärte, heute eine vergleichsweise arme Stadt, aber im Grunde ist dieses Zurücktreten in den Schatten hinter Brüssel und sogar Brügge wahrscheinlich die Rettung gewesen für das, was Touristen an der Stadt so schön heimelig finden können.
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Das denke ich auch ..
Viele Grüße und gute Nacht,
Christoph
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