Gent – der zweite Teil vom ersten Stadtbummel, rechtsherum

Hier ist die Fortsetzung meines ersten neugierigen Abendspaziergangs nach meiner Ankunft im belgischen Gent. Nur ein paar Schritte hinter der Vleeshuisbrug stand ich wieder auf dem Sint-Veerleplein vor der Burg Gravensteen und der Haustür meiner Unterkunft. Die Abendsonne schien jedoch noch so schön, dass ich mich für eine Verlängerung entschied und so wurde aus einem Rundgang eine Achterschleife, indem ich diesmal rechts abbog (> das Foto aus dem Fenster) in die Kraanlei, eine Strasse entlang des Flusses Leie, die den südlichen Rand des alten Stadtviertels Patershol bildet. Ich habe mich noch einmal umgedreht und aus der Strasse zurück fotografiert: auf dem ersten Bild sind hinter dem einbiegenden Auto drei Giebel an der Westseite vom Sint-Veerleplein zu sehen. Das zweite Foto zeigt das gegenüberliegende Ufer der Leie, hinter dem sich die Geschäftsstrasse Langemunt befindet, unterbrochen durch eine kleine Gasse, dem Hoefslagstraatje, mit einer Café-Bar, von der aus man direkt auf das Wasser sehen kann – zum Vergrössern bitte die Bilder anklicken:

Später warf ich noch einen Blick in das Café, aber vorher ging ich durch die Kraanlei weiter. Vor der Ecke zur Rodekoningstraat fielen mir zwei Barock-Fassaden auf. Sie wurden im 17. Jh beide vom Architekten Tobias d’Oosterlinck zwei älteren Häusern vorgesetzt, weshalb sie so gut harmonieren: D’Oosterlinck war Besitzer des linken, wegen seines religiösen Fassadenschmucks Huis ‚De werken van barmhartigheid‘ genannten Hauses. Der damaligen Leiter des Genter Baugewerbes hat 1661 auch den höheren Giebel in Backstein und rotem Sandstein für den Silberschmied und Kunstsammler Jacques Van Hoorebeke gestaltet, der das weitaus ältere Haus schon 1637 mit einem Hirsch im Namen erworben hatte. Der geflügelte Hirsch unterhalb der oberen Fenster des > ‚De Fluitspeler‘ oder ‚Het Vliegend Hert‘ – „Flötenspieler“ oder „Fliegender Hirsch“ – genannten Hauses soll das Ausnahme-Bild auf der Fassade sein, um das sich die Darstellung der Wahl zwischen Tugend und Laster durch die Sinne – gemäss der mythologischen ‚Wahl des Herakles‘ nach Prodikos von Keos – gruppiert. Der Flötenspieler befindet sich oberhalb derselben Fenster. 1916-18 und 1931 wurde es durch den Genter Architekten Amand-Robert Janssens (1883-1953) restauriert.

Trotz Dämmerung habe ich wegen der Findefreude und in der Hoffnung fotografiert, trotzdem ein Bild zu bekommen, das mich an die Gebäude nahe der Zuivelbrug und die schöne Abendstimmung an dieser Stelle erinnern konnte, denn laut Wettervorhersage war Regen angekündigt und bessere Bedingungen ungewiss.

Als nächstes erreichte ich die schon genannte Zuivelbrug, wo ich zwischen der Kraanlei bzw. Oudburg und dem Freitagsmarkt wieder den Fluss überqueren konnte. „Zuivel“ hat aber nichts mit Zwiebeln zu tun, sondern ist, ebenso wie „suvel“, ein alter > mittelniederländischer Sammelbegriff für Milchprodukte und Eier. An dieser Stelle führt schon seit dem 13. Jh. eine Brücke über die Leie, damals noch Suvelbrug genannt, zum Vrijdagmarkt, auf dem früher insbesondere Eier, Butter und Käse verkauft wurden. Zwischen dem 13. und 20. Jh. löste immer wieder eine Brücke die vorige ab, zuletzt 1987, als man die seit 1968 nicht mehr funktionstüchtige Drehbrücke durch die heutige neue, wenn auch schön altmodisch aussehende 27m lange Metall-Brücke ersetzte, die auch wieder beiseite geschwenkt werden kann. Von dieser Brücke aus machte ich die nächsten Fotos: links sieht man von der Zuivelbrugstraat aus das Brückengeländer, dahinter die Häuser auf der anderen Seite, wo die Strasse als Meerseniersstraat direkt zum Freitagsmarkt führt. Die beiden Häuser auf der Ecke, gelb und weiss mit Glaskasten, waren früher eine Getreide-Mühle, Molens Goethals, erst mit Pferdekraft angetrieben, später mit einem modernen Mühlenwerk bis 2008 in Betrieb, heute teils Museum , teils Hotel.
Unten sieht man flussaufwärts, Richtung Vleeshuisbrug und Restautants der Oudburg flussabwärts.

Hinter der Brücke ging ich dann aber doch noch nicht auf dem kürzesten Weg zum Vrijdagmarkt, sondern sah mir noch das rotgestrichene riesige Kanonenrohr aus dem 15. Jh. auf dem Grootkanonplein an, Dulle Griet genannt. Nach dem Schlenker über den kleinen Platz mit der grossen Kanone erreichte ich den Vrijdagmarkt über dessen westliche Ecke.
An diesem Freitagabend um acht ging es dort beschaulich zu, mit Spaziergängern, plaudernden Gruppen, spielenden Kindern. Vor den Gästen an den Restaurant-Tischen im Freien stand „normales“ Essen mit Bier- und Limonadengläsern daneben, keine Muscheltöpfe. Es gab freie Plätze mit Blick über den weiten Platz und die ihn umgebenden Bauwerke – ein sehr angenehmer Ort für ein Abendessen im Freien.

Auch hier bitte die kleinen Bilder zum Vergrößern anklicken, bei denen hatte das Licht für eine schöne Ansicht ausgereicht: auf dem ersten Bild ist die Südseite des Vrijdagmarkts zu sehen, mit den drei unterschiedlichen Türmen der gotischen Sint-Jacobskerk dahinter und rechts das Toreken. Das „Türmchen“ aus dem 15. Jh. ist das ältestes Gebäude am Freitagsmarkt, früher war es die Gildehalle der Gerber. Das Toreken wird etwas verdeckt durch das Denkmal für eine der wichtigsten historischen Figuren Belgiens, ein Mann aus dem 14. Jh. , > Jacob van Artevelde (Gent ± 1290 – 24. Juli 1345). Für mehr Informationen über ihn empfehle ich den verlinkten Wikipedia-Artikel. Ich habe mich am Abend des 21. August 2015 auf dem Vrijdagmarkt mehr meinem Essen und dem anregenden Gespräch mit den Tischnachbarn gewidmet. Kann man sich in einer solchen Stadt einen interessanteren Gesprächspartner denken, als einen einheimischen Architekten?
Nach dem Essen war es noch dämmeriger geworden und auf dem Weg zurück gingen die Lichter der Stadt nach und nach an.

Links sieht man wieder das Vleeshuis und die Vleeshuisbrug, rechts den Sint-Veerleplein. Es gibt später noch Nachtbilder vom Balkon, aber in einem eigenen Eintrag.

Fotos vom 21. August 2015, Abend in Gent, Flandern Belgien – bitte die kleinen Bilder zum Vergrössern anklicken.

 

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