… und immernoch sind es Bilder vom Vormittag des zweiten Tages von meinem kleinen Urlaub im ostflandrischen Gent, Belgien. Gerade heute, am 18. November, wo hier im Wendland Sturm und Regen über die Felder toben und man, selbstverständlich regendicht angezogen, über heruntergebrochene Äste steigen muss, wirkt der Anblick von blauem Himmel, ruhigem Wasser und jahrhundertealten Hausgiebeln auf mich besonders schön:
So ähnlich, wie auf diesem ersten Foto, war schon ein Bild > im vorigen Eintrag von der St. Michaelsbrücke herunter fotografiert zu sehen, nur dass ich nach den Fotos, die ich von der Brücke gemacht hatte, die Treppen an deren östlichen Ende heruntergestiegen und anschliessend das linke Ufer der Leie entlang gegangen bin, Korenlei genannt, und mit einem schönen Blick auf die gegenüberliegenden alten Giebel der Graslei genannten Seite. Rechts und geradeaus sieht man die Grasbrug vor dem neugestaltenen Alten Fischmarkt, hinter dem der Sint-Veerlepein und die Burg Gravensteen liegen. Von der Burg sind gerade so eben zwei Türme mit Fahnen darauf zu erkennen. Auf dem Foto darunter sind einige der schönen Häuser an der Graslei mit ihren gestuften Giebeln und verzierten Fassaden noch einmal zu sehen; von links nach rechts sind dies die am besten sichtbaren: das romanische Korenstapelhuis aus der zweiten Hälfte des 12. Jh., auch Spijker genannt. Bis ins 18. Jh. war es wirklich ein Getreidedepot, ab 1734 Gildehaus der Kornmesser, im 19. Jh. verfiel das Gebäude und 1896 brannte es sogar aus, aber die Fassade blieb erhalten und 1903 wurde das Haus durch den Architekten August Van Assche restauriert. Fast übersehen schmiegt sich zwischen den Spijker und das Nachbarhaus zur Rechten das kleine Zollhäuschen aus dem 17. Jh., wo im 17. und 18. Jh. durch Stadtbeamte die Steuern auf das Getreide einnahmen. Genau wie die Grossen wurde es im Hinblick auf die Weltausstellung von 1913 restauriert, im Jahre 1912. Daneben steht das Cooremetershuys, das ‚Zweite Kornmesserhaus‘ mit Ursprung im 13. Jh. und einer Fassade von 1698, die Anfang des 20. Jhs. wie einige andere der schmucken Giebel in der Reihe auch, wieder von späterem Putz befreit wurde, hier 1906-1907 durch Architekt J. De Waele.
In der Bildmitte ist das Gildehuis der Vrije Schippers, das ‚Gildehaus der Freien Schiffer‘ zu sehen, das 1530 von der Zunft der Müller gekauft und durch den Baumeister Christoffel van den Berghe mit einer neuen Fassade versehen wurde. Diese wurde Ende des 18. Jhs. dem damaligen Zeitgeschmack entsprechend verputzt, dies wurde aber bereits 1820 wieder durch P.J. Goetghebuer entfernt und 1904 von E. Mortier und A. Van Hoecke restauriert; der Rest des Hauses wurde 1907-1911 renoviert.
Ich finde es bei diesen Häusern immer wieder erstaunlich zu erfahren, mit wieviel Aufwand das heutige Aussehen wieder hergestellt wurde.
Was sich rechts daran anschließt, gehört (wie der Turm dahinter) zum umfangreichen Oud Postkantoor-Gebäudekomplex, der im eklektischen Stil zwischen 1899 und 1910 in Zusammenarbeit der Architekten Louis Cloquet und Stéphane Mortier im Hinblick auf die Weltausstellung errichtet wurde, und für den Anschluss an das Gildehuis der Vrije Schippers hat man, neben dem geraden Teil mit dem Tor, eigens als optische Verbindung ein Giebelhäuschen angebaut, in dem damals der Hausmeister des Oud Postkantoors untergebracht wurde.
Die letzten vier Bildern zeigen Details von Häusern auf der Korenlei – für ganze Giebelansichten war ich zu nah.
Besonders schön ist der Barockschmuck am Gildenhuis der Onvrije Schippers, dem ‚Gildehaus der Unfreien Schiffer‘ mit einer Wetterfahne in Form eines goldenen Segelschiffe, dessen Giebel 1739 vom Architekten Bernard de Wilde gestaltet wurde und aussieht wie aus einem Bilderbuch, mit seinen grossen Fischen und Löwen, der typisch barocken Steinvase vor einem runden Fenster in der Mitte, einer mit zwei Federn geschmückten Krone darüber und einem Paar auffallender Anker mit Seil. Das Haus links daneben, mit den goldenen Kreisen auf der Fassade, dem Schnörkel um den Giebel und der barocken Vase obendrauf stammt aus dem letzten Viertel des 18. Jhs., daneben steht das Huis ‚De Zwaene‘, das Haus mit den goldenen Schwänen, das schon zweiten Hälfte des 16. Jhs. gebaut wurde, ist 1949 sorgfältig nach alten Zeichungen durch P. Eeckhout restauriert worden. Die beiden bilden die schöne Vorderseite des Marriot Hotels. Rechts neben dem Gildenhuis der Onvrije Schippers stehen die Häuser, zu denen die Giebelabschnitte auf dem letzten Bild gehören: das Bürgerhaus mit dem breiteren Treppengiebel wurde im 17. Jh. gebaut und im 20. Jh. restauriert, das hohe, aber nur ein-Zimmer-breite Eckhaus wurde wohl im 18. Jh. gebaut, aber die heute sichtbaren barocken Verzierungen sind 1911 entstanden. Vor diesen beiden Häusern gibt es eine Bootsanlegestelle, wo man zu Touristenfahrten in offenen Booten zusteigen kann – habe ich gemacht, aber die Bilder kommen wieder erst im nächsten Beitrag.
Bewunderns- und lobenswert finde ich die Bemühungen von Stadtplanern, Architekten und sicher auch Gebäudeeigentümern, Politikern und Bürgern usw. um den Erhalt bzw. angemessene Neugestaltung der malerischen Altstadt in Gent.
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Dem stimme ich zu. Allerdings ist das eine Belastung für Privatmenschen, die solche Gebäude besitzen und entsprechend den denkmalschutzgemässen Auflagen restaurieren „müssen“, so dass es oft zu lange unterlassen wird, oder auch von denen, die solche Häuser ganz unidealistisch einfach nur bewohnen, und ganz normal ein Auto irgendwo abstellen müssen. Liest man im Web über die Genter Altstadt, stösst man zwangsläufig auf solche Kritik und purzelt aus seiner Touristenidylle in die Vorstellung, wie es für einen selbst wäre, damit leben zu müssen, sich in allem dem schönen Bild unterordnen zu müssen. Teilweise bin ich hier im Wendland entweder durch Hörensagen über Bekannte oder selbst auch schon an solche Hürden geraten, die nicht immer verständlich und sinnvoll sind und die Menschen davon abhalten, ein altes Haus zu kaufen oder weiter zu bewohnen.
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Ja, der Konflikt zwischen (modern) Wohnen und (alt-malerisch) Aussehen in denkmalgeschützten oder überhaupt alten Häusern ist vorhanden und teils schwerwiegend. Bei uns in Menden hat u. a. dieser Konflikt zum weitgehenden Verschwinden der historischen Bausubstanz aus der Zeit vor 1900 geführt …
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