Es war schon beinahe halb zehn Uhr, als das Frühstück beendet war und der erste Stadtbummel des Tages begonnen werden konnte, man kann die Uhrzeit auf dem ersten Bild der Galerie auf der Strassenuhr an der Brücke über die Čertovka unterhalb der Karlsbrücke ablesen. Wir blieben im Prager Stadtteil am westlichen Ufer der Moldau, in Malá Strana, deutsch: Kleinseite, und gingen unter dem niedrigen Brückenbogen hindurch, in die kleine gepflasterte Gasse namens Saská ulice. Auf dem dritten Foto ist eine Treppe zu sehen, über die man von der Saská aus zur Karlsbrücke hinaufsteigen kann, und dahinter den Zwillingsgiebel von einem der Häuser an der U Lužického semináre.
Das vierte Bild hatte vorher schon einen Solo-Auftritt im Blog, weil die Beschriftung mit der österreichisch-tschechischen „Cousine“ als Hinweis auf die zu erwartende Küche des Restaurants so drollig ist. Genau dieses Tor und der Schwibbogen auf dem letzten Foto findet man auch in der Saská ulice. Folgt man ihr bis zum Ende, gelangt man an der Lázenská ulice zum Beethoven-Palais, eigentlich ‚Haus Zum Goldenen Einhorn‘, Dům U bílého a zlatého jednorožce. Im 18. Jh. war dies ein beliebtes Hotel in Prag, und sowohl Wolfgang Amadeus Mozart (1789) als auch Ludwig van Beethoven (1796) waren unter anderen dort zu Gast. Auf Bild 5 ist unter dem Schwibbogen schon etwas von der rotbraunen Fassade zu erkennen, der Seite von Bild 6.
Während das Beethoven-Palais noch einige andere Namen hat, scheint es für die platzartige Erweiterung vor der Seite mit den Fenstern von Bild 7 keinen eigenen Namen zu geben.
Von dort kann man entweder aus der ruhigen Zone der kleinen Gassen und des eingeschränkten Autoverkehrs hinausgehen zum Malteserplatz Maltézské náměstí, oder dem Verlauf der Lázenská folgen, um am barocken Gebäudekomplex des tschechischen Hauptsitz des Malteserordens vorbei zu gehen, bis die Strasse an einem Knick den Namen wechselt Die folgenden drei Fotos sind zwischen dem Vorplatz des ‚Hotel Zum Goldenen Einhorn‘ bzw. dem Beethoven-Palais und diesem erwähnten Ende der Lázenská entstanden:
Den Malteserplatz mit seiner barocken Darstellung Johannes des Täufers mit Engeln vom Bildhauer Ferdinand Maximilian Brokoff kann man von der Lázenská aus sehen, mit dem Zoom holte ich mir die Ansicht näher heran und entdeckte so auch den Strassenkünstler mit seinen Malsachen, auf dem Weg zu seinem Arbeitsplatz auf der Karlsbrücke. Auch der Name des Bildhauers hat einen Bezug zur Karlsbrücke, denn Vater Johann Brokoff und seine Söhne Michael Johann und Ferdinand Maximilian waren massgeblich für die Gestaltung von deren Skulpturen.
Auf dem mittleren der drei Fotos ist ein Teil des eindrucksvollen Malteserorden-Gebäudes zu sehen, dessen Fundamente zwar aus dem 12. Jh. stammen, aber der sichtbare Teil wurde im Laufe der Geschichte mehrfach zerstört und wieder aufgebaut, und auch die Liste seiner Hausherren zwischen dem ersten Besitz durch die Johanniter und gegenwärtig den Maltesern ist eindrucksvoll, aber ganz und gar nicht konstant. Die Web-Übersetzung des tschechischen Wikipedia-Artikels „Velkopřevorský palác“ ins Deutsche > hier anklicken .
Bevor die Lázenská nach eine knieähnliche Biegung in den Velkopřevorském náměstí mündet, habe ich noch mit einem Blick zurück über das Strassenpflaster fotografiert (oben), die nächste Bildgruppe geht wieder mit zwei Fotos vom Grossprioratspalast des Souveränen Malteserordens weiter:
… und weil ich alte Kopfsteinpflaster so mag, auch mit einem Foto vom Pflaster des Velkopřevorském náměstí zwischen dem Velkopřevorský palác und dem Palais Buquoy gegenüber. Seit 1919 befindet sich in dem barocken Palais die französische Botschaft. Begonnen wurde der Bau des Palastes im 17. Jh., und auch der Buquoyský palác wechselte mehrfach den Besitzer. Mehr darüber lesen > hier. Für den Film „Amadeus“ (Mozart-Filmdrama des Regisseurs Miloš Forman von 1984) dienten Räume des Palais Buquoy als Kulisse für einen Barockball. Bei den Aussendetails hatte es mir besonders der schöne grosse Türbeschlag angetan:
Beim Fotografieren von Türen an staatspolitisch genutzten Gebäuden mit besonderem Sicherheitsbedarf bin ich immer ein wenig vorsichtig, aber keiner kam, um zu protestieren und darum ging mein Weg weiter zur graffiti-bunten ‚John-Lennon-Mauer‘ Lennonova zeď schräg gegenüber, die auf der Liste der zu besuchenden Attraktionen vieler internationaler Touristen zu stehen scheint, denn selbst um diese Uhrzeit war vor dieser Wand eine grössere Menschenansammlung zu finden, als vor den Sehenswürdigkeiten in den zuvor gesehenen Strassen.
Die Wand war bis in die 70er Jahre eine ganz normale Altstadtwand, die zum Grundstück des Malteserordens gehört. Dann wurde sie zur Zeď nářků – Klagemauer, auf der immer wieder regimekritische Proteste geäußert wurden. Mit der aufkommenden Sprayer-Bewegung entwickelte sich diese Art und Weise, die Wand zu nutzen weiter und entwickelte mehr Konfliktpotential, bis unter der Bezeichnung „Lennonismus“ die Protestbewegung von Studenten 1988 in einen Zusammenstoß von Polizei und Studenten auf der Karlsbrücke gipfelte. Heute jedoch wird die Wand als Botschaft von Liebe und Frieden verstanden:
Besonders bemerkenswert in der kurzen Geschichte der Graffiti-Wand ist ein Ereignis der Nacht auf den 25. Jahrestag seit Beginn der ‚Samtenen Revolution‘, 17 November 2014, als eine Gruppe von Street-Art-Aktivisten die Mauer weiß übertünchte und nur „Wall Is Over“ ( = die Mauer ist vorbei – in Anspielung auf den Lennon-Song „Happy Christmas – War Is Over“) hinterließ. Als symbolischer Akt für einen Neuanfang verständlich, aber ausgerechnet der Besitzer der Wand, der Malteserorden, schloss sich der Ansicht der Menschen an, die den Verlust nicht hinnehmen mochten, und reichte sogar Klage ein, die allerdings nach persönlichem Kontakt mit den Aktivisten zurückgezogen wurde. Trotzdem: eine unerwartet starke Nummer von einem „Wandbesitzer“ bleibt es trotzdem, finde ich. Inzwischen sind fast drei Jahre vergangen und vom zwischenzeitlichen Weiss ist kaum noch etwas zu sehen. Um noch eine letzte Frage zu klären, habe ich im Web herumgesucht und wurde nicht positiv fündig: im Gegensatz zum wegen seines Gastes „Palais Beethoven“ genannten Hotels ‚Zum Goldenen Einhorn‘ ist John Lennon, der Namenspatron der Wand, nie in Prag gewesen.
Von Love & Peace der ‚John-Lennon-Wand‘ ging es – vorbei an dem schönen alten Tor der Hausnummer 1 vom Velkopřevorském náměstí auch gleich auf der kleinen Brücke über den Teufelsbach mit der Liebe weiter: die unvermeidlichen Liebesschlösser am Schutzgitter auf der dem Mühlrad zugewandten Seite der Brücke setzten bunte Tupfen vor die Aussicht. Wahrscheinlich soll das Gitter allzu waghalsige Touristen auf dem Weg zwischen Lennon-Wand und Kampa-Insel vom hölzernen Mühlrad an der Čertovka fernhalten. Diese Brücke gilt las die älteste unter den Brücken über den Kanal. An dieser schmalen, für den Autoverkehr gesperrten Stelle am Ende des Platzes Velkopřevorském náměstí mit den beiden Palästen sind sicher schon viele mit dem Auto reisende Touristen an der Unfähigkeit des Navigationssystems verzweifelt – so auch wir am Tag zuvor. Diesmal konnten wir an dieser Stelle problemlos zu Fuß auf die Kampa-Insel gelangen:
Auf dem ersten Bild der letzten Gruppe ist das grosse hölzerne Mühlrad zu sehen. In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts waren Kanal und Kampa-Insel das Eigentum des Ritterordens der Malteser, und es gab zunächst dort eine Reihe von Gärten, dann wurden nach und nach mehrere Mühlen gebaut, wobei der Ursprung dieses einen von drei verbliebenen Mühlrädern aus der Renaissancezeit stammt und zur Mühle der Grosspriorei der Malteser gehört. Auf dem nächsten Foto ist die steinerne Fussgängerbrücke von der anderen Seite zu sehen, mitsamt einer Gruppe von Touristen, das Foto danach ist wieder auf der Brücke entstanden: der hübsche Ausblick nach der anderen Seite, bis zur nächsten kleinen Brücke, die sogenannte „Dritte Brücke“ 3. můstek, die von Kleinseite durch den Kampa-Park zum Museum führt – doch dazu später. Zunächst führte der Weg U Sovových mlýnů zum hinteren Ende des Platzes Na Kampě mit dem Hotel U Zlatých nůžek ‚Zur Goldenen Schere‘. Dort gibt es unter anderem das Haus ‚Zu den blauen Füchsen‘ Dům ‚U Modré lišky‘ mit seiner hübsch geschmückten Tür zu entdecken, das man neben dem auffälligeren Palais Liechtenstein Lichtenštejnský palác beinahe übersehen könnte. Dennoch haben die Eigenschaften beider Häuser eine schmale Überschneidung der Gemeinsamkeiten, denn sie wurden nach ihrer Errichtung während der Barockzeit immer wieder umgestaltet.
Auch die Namensfindung stellt sich bei näherer Recherche zu beiden als ungenau heraus, weil ihre Besitzer verschiedentlich gewechselt haben, so hieß das Haus mit dem Fuchsemblem und Ursprung im 17. Jh. auch U Tří zlatých knoflíků, ‚Zu den drei goldenen Knöpfen‘, und das Liechtenstein-Palais wurde nach Zerstörungen der Vorgebäude durch den Dreissigjährigen Krieg 1697 – 1698 für Franz Helfried von Kaiserstein oberhalb des Moldau-Ufers errichtet, wurde nach verschiedenen Besitzern 1831 durch General Johann Josef, Fürst von Liechtenstein erworben, aber bereits nach etwas über 30 Jahren an den Mühlen- und Großbäckereibesitzer František Odkolek weiterverkauft, der den Bau erweiterte und nach dem Geschmack der Neorenaissance gestalten ließ. Seit 1896 gehörte der Palast der Stadt Prag, machte aber in den Jahren des WK II eine unrühmliche Phase als NSDAP-Sitz durch. Schließlich wurde der Palast gegen Ende des 20. Jh. umgestaltet, um Regierungsgästen als Unterkunft und repräsentativen Veranstaltungen zu dienen. Gäste waren u.a. der spanische König Juan Carlos mit seiner Ehefrau Sofia, britische Königin Elisabeth II. mit ihrem Ehemann Prinzen Philip, oder der japanischer Kaiser Akihito mit Königin Michiko.
Auf diese Weise am Ufer der Moldau angelangt, ist ein erster Abschnitt des morgendlichen Stadtbummels abgeschlossen, und der nächste, entlang der Moldau bis zur Brücke der Legionen, wird in einen neuen Artikel verpackt, damit der Beitrag nicht noch länger wird.
Diese Fotos sind vom Morgen bzw. frühen Vormittag des 15. Juli 2017 in Prag – Malá Strana. Zum Vergrössern bitte die kleinen Bilder anklicken.
Mala Strana – für mich der schönste Teil der Stadt.
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Ja! Das wollte ich tatsächlich später ganz genau so schreiben: wenn ich noch einmal nach Prag kommen möchte, dann wegen Malá Strana, und nichts sonst.
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Viele schöne Ecken, tolle Fassaden und der Türklopfer ist ganz prächtig !!! Die Mala Strana ist wirklich sehr sehr schön, obwohl mir die Jugendstilelemente (Häuser, Inneneinrichtungen, Alfons Mucha) auf der anderen Seite auch in schöner Erinnerung sind.
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