Er wird Brauner Waldvogel oder Schornsteinfeger genannt, der stets eilige, selten länger verharrende braune Tagfalter mit dem wissenschaftlichen Namen Aphantopus hyperantus, den ich hier zwischen Gräsern hindurch auf einer Wiesen-Schafgarbe Achillea millefolium wenigstens im Bild festhalten konnte, bevor er gleich wieder auf und davon war, wie es gleichermassen zu einem von Baum zu Baum fliegenden Vogel oder einem von Haus zu Haus eilenden Schornsteinfeger passen würde. – Foto vom 26. Juni 2018 im Garten, Lüchow im Wendland Niedersachsen.
Der wissenschaftliche Name erschliesst sich mir weniger, denn auf der Webseite des Lepiforums fand ich als Namenserklärung, es handele sich um einen „Sohn des Ägyptus“: Wer soll das sein und warum nennt man einen unscheinbar braunen Tagfalter so?
Im Mythos war es Aegyptus ein ägyptischer König, Sohn des Belus u. der Anchinoë, Enkel Poseidons, Zwillingsbruder des Danaus …
Man muss das Weitere nicht lesen, denn jetzt wird es kompliziert, wie diese ganzen mythologischen griechischen Familiengeschichten, aber weil ich nun einmal damit angefangen habe, bringe ich es auch zuende. Das muss doch möglich sein. Schliesslich habe ich früher als Kind in den Sommerferien immer Omas „Goldenes Blatt“- und „Frau im Spiegel“-Zeitschriften gelesen, wenn sonst nichts da war. Konstantin, Soraya, Baudouin, Sirikit … also los:
Wer ist Belus?
Belus ist der latinisierte griechische Name des Belos, hellenisiert für Ba’al, laut griechischer Mythologie König von Ägypten, er gilt auch als mythischer Gründer Babylons.
Belos‘ Vater ist Poseidon, seinerseits Gott des Meeres und Bruder des Zeus, dem obersten Gott im Olymp, seine Mutter ist Libya, einer Tochter des Epaphos, eines Sohns der Io, einer Priesterin der Hera, mit Zeus. Epaphos hat, der Beschreibung bei Aischylos zufolge, eine schwarze Hautfarbe. Dessen Frau Memphis ist in der griechischen Mythologie die Tochter des Flussgottes Neilos.
Soweit, so gut. Wer ist Anchinoë?
Sie ist Tochter des Flussgottes Neilos (Hoppala, schon wieder Verwandtschaft!), mit ihr zeugte Belos der Sage nach die Zwillinge Aigyptos und Danaos, von denen ein ganzes Heroengeschlecht abstammt.
Als wären die verwandtschaftlichen Verflechtungen nicht schon kompliziert genug, kommt mit Aigyptos / Aegyptus so eine Art Multiplikator der Verwirrung in die Geschichte, denn mit verschiedenen Frauen war er Vater von insgesamt fünfzig Söhnen, die ihm nach dem Tod des Vater Belos bei den Erbstreitigkeiten mit seinem Zwillingsbruder Danaos durch kriegerische Belagerung und Zwangsheiraten mit dessen fünfzig Töchtern zum Vorteil verhelfen sollten, nur dass die Söhne alle in der Hochzeitsnacht auf Geheiss ihres Schwiegervaters und Onkels von ihren unwilligen Gemahlinnen bzw. Cousinen getötet wurden, mit Ausnahme des Lynkeus …
Würde das nicht eher zu Spinnen als zu Faltern passen? Aber es geht noch weiter, hin zum einzigen überlebenden Sohn des Aegyptus, dem Namensgeber für den Schmetterling:
Einer der fünfzig Söhne des Aigyptos hatte überlebt: Lynkeus. Seine ihm für die Zwangsheirat zugeteilte Cousine Hypermnestra, die älteste der fünfzig Töchter, hatte ihn entkommen lassen; die beiden wurden und blieben, zunächst gegen den Willen des Danaos, ein Paar. In der Nacht, in der seine Brüder umkamen, hatte Lynkeus nach dem Entkommen aus sicherer Entfernung mit einer Fackel ein Zeichen gegeben, das Hypermestra vom Berg Larissa erwiderte; darauf soll ein antikes Fackelfest zurückgehen, das in Argos gefeiert wurde, dessen Thron nach dem Tod des Danaos dem Lynkeus zugefallen war.
Aber bleibt wo denn nur die Erklärung für den wissenschaftlichen Namen des Braunen Waldvogels bzw. Schornsteinfegers, des Aphantopus hyperantus, dem „Sohn des Aegyptus“?
Nachdem ich mich so weit durchgewühlt habe, entpuppt sich die wissenschaftliche Namensgebung für den eiligen braunen Falter als eine Art Bildungstest: Schliesslich galt die Kenntnis der griechischen Antike und Mythologie früher einmal als eines der wichtigsten Bildungsziele und -Maßstäbe.
Es wäre viel einfacher gewesen, hätte man gleich den Namen des Sohnes des Aegyptus verwendet, nicht wahr? Aber nein, verschlüsselt musste es werden, zu einem damals nur durch Wissen, heute durch geduldigen Umgang mit der Web-Suchmaschine lösbaren Rätsels:
Lynkeus, griechisch geschrieben Λυνκεύς mit der Bedeutung „Luchsäugiger“; lateinisch Lynceus, ist ein antiker, griechischer, männlicher Personenname.
Der Luchs galt seit alters als besonders scharfäugig. Lynx = altgriechisch „Luchs“. Und was hat der Falter auf seinen Flügeln? Kleine, gelb umrandete Augen! Luchsaugen, Aaah …
Zu Zeiten dieses starken Schwerpunkt im Bildungs- und Kulturinteresse auf der Antike wäre es vielleicht weniger schwer nachvollziehbar gewesen, denn zumindest das Thema ‚Lynkeus und Hypermnestra‘ vielfach in der Kunst verwendet worden, z.B. von Ovid, Chaucer und Salieri, in Dichtung, Literatur, Theater und Oper, allerdings mit dem Fokus auf der Frau, der Hypermnestra. Ich kannte bisher keines dieser Werke, aber die Oper des deutschen Barock-Komponisten Ignaz Holzbauer von 1741 ist ein Anfang, > bei YouTube gefunden. Die Vergabe des wissenschaftlichen Namens nach Linnaeus, Carl von Linné, datiert man mit 1758. Salieris Oper „Les Danaïdes“ hatte ihre Premiere 1784, es war offenbar gerade Mode, das Thema.
Kleiner Schmetterling – grosse Wirkung. Aber dem Falter ist es egal. Der flattert einfach zwischen den Grashalmen herum.
immer unglaublich viele Informationen, du bist sehr fleißig, mache es gut.
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Das ist nicht Fleiss, lieber Klaus, das ist Vergnügungssucht 🙂
Hab einen schönen Tag!
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Jedenfalls ist es ein Vogel, der Eier legt.
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Liebe Puzzle, habe Mut zur (Bildungs-)lücke!
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Auf Twitter wäre das nicht passiert.
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Tolle Info!
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Vielen Dank, lieber Lu. Manchmal verselbständigen sich die Dinge 🙂
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Warum nicht *lächel * fein gemacht…
und wieder ein wundervolles Schmetterlingsbild! 🦋
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So langsam kommen mehr und mehr hervor , da ist schon wieder einer 🙂
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schmunzel wie schön … 🦋
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🙂
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Du hast dir viel Mühe gegeben, dieses Mysterium aufzuklären. Vielen Dank dafür! Mir zeigt dieses Beispiel nur wieder, warum ich mit Griechischer Mythologie nichts anfangen kann. Während ich die letzten Namen lese, habe ich die ersten bereits wieder vergessen und wenn ich sie behalten habe, kann ich mich an die Verwandtschaftsbeziehungen nicht mehr erinnern (bin bloß froh, daß von 50 nur einer übriggeblieben ist, sonst wäre es ja noch komplizierter). Hätte man das nicht mal als Dauersoap verfilmen können, statt Dallas und Denver Clan?! Dann würde ich heute vielleicht durchblicken und dem Bildungsanspruch wäre auch genüge getan. Aber so? Seufz…………….
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Wie wahr: Denver, Dallas, Falcon Crest und und die Familie Duck aus Entenhausen – all die scheinen ein moralisch gesäuberter und übersichtlicherer Abklatsch davon zu sein. 😀
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^^ Zum Glück ohne weitverzweigte Vewandtschaft 🙂
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Das Vorbild der antiken Verwandtschafts-Verhältnisse war den amerikanischen Produzenten allzu prekär und Federico Fellini kein Amerikaner.
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^^ Bliebe noch Francis Ford Coppola…
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Heute hast Du es mal wieder ordentlich krachen lassen – die einen bekommen Glücksgefühle bei den Griechischen Göttern die anderen bei Zahlen der Mathematik. Bei mir sind es einfach nur Fische (lach). Kleiner Spass muss sein,tom
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Meeresgott Poseidon und Flussgott Neilos war immerhin genealogisch am Rande beteiligt, ein bisschen Wasserbrise für den Kormoran 🙂
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Was für ein Beitrag! Wie Du Dich da reinhängst ist ja unglaublich.
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Ich wollte wissen, wie es ausgeht 🙂
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