Wismar (11) – zwischen Altböterstrasse und der Schweinsbrücke

Nach dem Schwedenfest-Spektakel am Marktplatz von Wismar wählte ich den Weg durch die Diebstrasse hinter den Rücken der zum Markt gewandten Hauszeile, vor der es stattgefunden hatte, um so zur nordöstlich des Marktplatzes gelegenen Nikolaikirche zu gelangen. Es war kein touristischer Hauptweg und deshalb viel ruhiger.

Das aus der Altböterstrasse heraus fotografierte grosse, weisse Eckhaus an der Ecke BademutterstrasseABC-Strasse Gerberstrasse aus dem Jahre 1906 gehört nicht zu den aussergewöhnlichen Baudenkmälern, aber seine an Möbeldekorationen erinnernden Stukkaturen mit Girlanden und Quasten fand ich trotzdem bemerkenswert.
Und diese Strassennamen! „Altböter“ ist ein alter Ausdruck für Flickschuster*, so wie „Bademutter“ Hebammen meint; beides waren früher zwar benötigte, aber keine angesehenen Tätigkeiten, genausowenig wie die der Gerber, deren Strasse sich rechts der Kreuzung anschliesst. Flickschuster, Hebammen, Gerber und nachher noch die Weberstrasse auf Bild 3, anscheinend in früheren Jahrhunderten ein Viertel der Geringeachteten.

Bleibt noch der Name der ABC-Strasse zu klären, in die ich auf Bild 2 hinüber wechselte. Man möchte meinen, der Name sei jüngeren Datums, aber das Gegenteil ist der Fall: zwischen 1574 und 1580 waren zwölf einstöckige Wohnbuden in der Reihenfolge des Alphabets mit Buchstaben statt Zahlen bezeichnet worden, als nach dem nachreformatorischen Niedergang auf dem Gelände des ehemaligen Grauen (Franziskaner-) Klosters Unterkünfte errichtet wurden. Man unterschied im Wismar der damaligen Zeit zwischen Giebelhäusern, Wohnbuden und Wohnkellern. Auch in Hamburg gibt es eine ABC-Strasse, seit 1620 beurkundet. Immerhin, wer bei „ABC“ an Schule dachte, liegt nicht ganz falsch: der Mieterlös der Wohnbuden wurde zum Unterhalt der dort schon 1541 errichteten Stadtschule verwendet.

Bild 3, wie oben schon erwähnt, zeigt einen Blick in die schmale Weberstrasse, in deren Nummer 10 sich ein privates Knopfmuseum finden lässt: Eintritt 20 Knöpfe vor 1945 oder € 3,00/pro Person. Wunderbare Idee, Ich muss mal Dienstags wieder nach Wismar kommen, denn es hat nur an diesem einen Wochentag von 11-17 Uhr geöffnet. Im Nähkasten meiner Mutter hätte ich sogar den Einritt in „Knopfwährung“ beieinander, der ist ein eigenes kleine Museum. Doch zurück auf die ABC-Strasse, wo das sich kunstvoll mit mayonnaisegelben und ketchuproten Ziegelmustern präsentierende Hansa-Haus von 1902 einen denkmalgeschützten Blickfang darstellt: das erste Gewerkschaftshaus Wismars.

Der Blick auf dem vierten Foto geht vom Hansa-Haus rückwärts durch die ABC-Strasse, woher ich gekommen war. In der entgegengesetzten Richtung geht der Blick bereits über die nächste Kreuzung und in die Strasse mit dem Namen der Brücke über den Wasserlauf der Frischen Grube, hinter der sich die Nikolaikirche befindet, die Schweinsbrücke . Das östliche Ende der Kirche, der Chor der spätgotischen Backstein-Basilika aus dem frühen 15. Jh. ist schon zu sehen, davor aber auch das durch seinen Edeka-Schriftzug auffallende Giebelhaus, ein Nebengebäude zum Schabbellhaus mit Ursprung im 14. Jh., sowie das jüngere Haupthaus im Stil der Frührenaissance, das eigentliche Schabbellhaus selbst in bräunlichem Rot, den Giebel nicht zur Strasse, sondern zur Kirche ausgerichtet.

Das weisse Giebelhaus, d.h. dessen Vorderhaus gehört zu den ältesten erhaltenen Bauten in Wismar, lt. Dachkataster mit Dachbalken aus dem Winter 1363/64. Das über 230 Jahre jüngere Schabbellhaus beherbergt heute das Stadtmuseum von Wismar. Gebaut wurde es 1569-1571 nach Plänen des Architekten Philipp Brandin niederländischer Herkunft, dem auch die Wasserkunst auf dem Marktplatz zugeschrieben wird und der mit Frau und Kindern jahrzehntelang in Wismar lebte.

Benannt wurde das Brauhaus nach seinem Bauherrn, dem Bierbrauer und Kaufmann, Ratsherrn und späteren Bürgermeister Heinrich (oder Hinrich) Schabbell (*1531-†1600), seinerzeit einer der einflussreichsten Bürger von Wismar. Das ältere, giebelständige Haus war übrigens Teil der Mitgift seiner Ehefrau, er erwarb weitere Grundstücke an der Frischen Grube.
Am Ende dieses Artikels steht noch ein Bild mit dem Blick zurück in den Teil der Strasse mit demselben Namen wie ihn die Brücke über die Frische Grube trägt, Schweinsbrücke, auch ist am Schabbellhaus einiges der eindrucksvollen Sandstein-Zier am Backsteingebäude zu sehen, aber: Fortsetzung folgt.

Fotos vom Vormittag des 18. August 2018 in Wismar, Landkreis Nordwestmecklenburg, Mecklenburg-Vorpommern.

12 Gedanken zu “Wismar (11) – zwischen Altböterstrasse und der Schweinsbrücke

  1. Du bist tief in Wismar eingedrungen und es erscheint so, als wärest du länger dort gewesen als die alten Schweden (die hatten sich für deinen Besuch ja recht hübsch rausgeputzt.

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    • Haha, dankeschön, lieber Philipp, für den Zeitstrahl zum Vergleich 😀
      Ja, um die Zeit spielt die Stadt und ihre schwedischen Gäste Theater. Es ist sehr reizvoll, die Darsteller in ihren Kostümen auch „ausser Dienst“ im Stadtbild zu entdecken.

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    • Mein Eindruck ist, dass Wismars Altstadt in ihrer Gesamtheit zwar den Welterbe-Status bekommen hat, aber im Einzelnen erst spät dazu kommt, seine Schätze zu entdecken und zu katalogisieren. Vermutlich liegen da über 40 Jahre Dornröschenschlaf in Sachen Wertschätzung alter Gebäude als dicke Staubsschicht über allem.

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      • Das kann ich mir gut vorstellen, zumal zur DDR Zeit in Sachen Restauration ja nur in den touristischen Hochburgen etwas getan wurde, wenn überhaupt. Da kann das Entstauben schon mal etwas dauern. Aber vieles sieht schon hochglänzend aus heute.

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