„ABC-Etüden“ – die zweite: mit „Himmelsleuchten …“

Zum zweiten Mal greife ich Christianes Schreibeinladung auf. Für die Textwochen 45/46 des Schreibjahres 2019 kommen die drei in den Text einzuarbeitenden Wörter von Anna-Lena und ihrem Blog „Meine literarische Visitenkarte“ und die Wortspende besteht aus:

Himmelsleuchten
recycelbar
ausreisen

Alle 3 Begriffe müssen innerhalb ihrer jeweilig gegebenen Wortarten in maximal 300 Wörtern verwendet werden – so geht meine Geschichte:

Himmelsleuchten

Endlich war der Traum wahr geworden: mit dem Wohnmobil nach Norwegen zu fahren, ganz weit hinauf, um das Nordlicht sehen. Mehrere Nächte erwarteten sie es in ihren Klappstühlen sitzend, draussen. Mit Benny wäre es schöner, dachte sie dann.

Aber als endlich das ersehnte Himmelsleuchten durch die Nacht flackerte, umarmten und küssten sie sich. Sogar beim Teezubereiten schwiegen sie noch ergriffen.
Während sie ihre Tasse in den Händen drehte, sagte sie verträumt: „Was für ein wundervolles Blau!“
„Grün,“ entgegnete er verblüfft und etwas zu laut. „Eindeutig grün war das!“

Sie bestand auf Blau, er auf Grün, der gemeinsame Moment war verdorben. Die Stimmung war wieder unten, wie seit Tagen. Enttäuscht und gereizt schleuderte er seinen Teebecher ins dunkle Heidekraut.

Als sie meinte, der sei aber nicht kompostierfähig, ging es erst richtig los: ihr Umweltfimmel ginge ihm sowieso auf die Nerven; sie entgegnete, es würde ihm nicht schaden, problembewusster zu werden, sonst hätte er die Fuchsbandwurmimpfung nicht vergessen. Dass der Hund in der Quarantänestation bleiben musste, bis sie wieder ausreisen würden, war schliesslich seine Schuld.

Beim Schlafengehen rollte sich jeder möglichst weit entfernt an das andere Ende der Liegefläche.
Er schnarchte bald, während sie immernoch über die Geschehnisse und das Gesagte grübelte.
Das grossartige Erlebnis würde nie mehr recycelbar sein, dachte sie noch im Einschlafen.

 

22 Gedanken zu “„ABC-Etüden“ – die zweite: mit „Himmelsleuchten …“

  1. Oh, das weckt Erinnerungen an einen seltsamen Urlaub, in dem Unterschiede immer deutlicher wurden. Und an die innere Einsamkeit, die in den Weiten Kanadas ich größer schien.
    Gut beschrieben hast du das. Besonders bei der Frage, ob blau oder grün musste ich laut auflachen 😉

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    • Danke für dein Lachen und diese persönliche Ergänzung!
      Solange man in jedem Scharmützel noch ein komisches Element entdecken kann, über das man wieder zur Kommunikation zurückfinden kann, gibt es noch Hoffnung. Aber wie selten ist das!

      Gefällt 1 Person

  2. Es macht einen so nieder, dieses kleingeistige Gezänk ums Rechthaben, das du so treffend wiedergibst. Nicht dass nicht jeder Standpunkt etwas für sich haben könnte, aber manchmal … ach.
    Danke dir, sehr gern gelesen.
    Nachdenkliche Grüße
    Christiane

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  3. Gefällt mir gut! Kavafis schreibt in seinem Gedicht „die Stadt“, dass es keinen Sinn macht, in ein anderes Land zu gehen, weil du es dort genauso verderben wirst, wie du es hier verdorben hast. Daran musste ich denken. (https://gerdakazakou.com/2015/12/06/lyrik-am-sonntag-noch-einmal-kavafis-die-stadt/) Sehr schön beschrieben auch die Vorwürfe (wegen dem Hund, dem nicht-recycelbaren Teebecher), die schnell generalisiert werden. Humor würde helfen – aber der ist anscheinend auch an der Grenze zurückgeblieben.

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  4. Auch ich schmunzele so vor mich hin, trotz der Tiefgründigkeit fallen mir viele Parallelen zum realen Leben auf; Szenen einer Ehe eben. Doch wenn man sich wieder eingriegt, ist alles halb so wild.

    Lieben Gruß
    Anna-Lena

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