Eine weitere Etüde von mir zu Christianes > Schreibeinladung für die Textwochen 47.48.19 mit der Wortspende von Bernd mit dem Blog > Red Skies over Paradise, den drei neuen, zu verwendenden Begriffen:
Unbehaustheit – schwermütig – haschen.
Den Regeln gemäss müssen alle 3 Begriffe in maximal 300 Wörtern zum Einsatz kommen, wobei Inhaltshinweise und Überschrift nicht zum Text zählen. Das Foto stammt aus alten Zeiten in meinem Blog-Fundus.
Herbsttag
Wie späte Schmetterlinge taumelten Blätter in Kreisen, als versuchten sie, noch im Fallen einen Partner zu finden, bevor sie am Boden das dunkle Modern erwartete.
Der Tee in der Tasse erkaltete langsam, während sie schaute, Bedeutungen ersann und sich dabei immer tiefer auf die Abwärtsspirale der Melancholie einliess. Es war also wieder soweit.
Wie ein Ritual kehrte Jahr um Jahr diese gewisse schwermütige Stimmung zurück, sobald das Rilke-Gedicht vom „Herbsttag“ überall zitiert wurde.
„Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr. Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben…“ – der bedrückende Gedanke an solch hoffnungslose Unbehaustheit erfasst sie jedes Mal, unwiderstehlich wie ein Sog. In den letzten Jahren entwickelte sich aber auch ein Reiz, morbide und herausfordernd zugleich, tiefer einzutauchen in den Nebel, um darin nach Schemen zu haschen, die sich dem Erfassen noch widersetzten. Inzwischen barg dies nichts Erschreckendes mehr, sondern sie bewillkommnete die stille Dämmerung der späten Herbstwochen mit ihrer Durchlässigkeit zum Unbewussten. Sie ermöglichten, sich den verborgenen Gedanken anzunähern, die sich geisterhaft zu vielem Sonnenlicht entzogen, und hier und da ein Muster zu entdecken zwischen all den dunklen Moderblättern der Vergangenheit.
Wow! Grossartig! Wunderbar geschrieben, berührend!
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Das beseitigt meine Zweifel – vielen Dank auch dafür!
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Manchmal, auch gerade jetzt, mag ich solche Kleist´schen Langsätze sehr!
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Dankeschön. 🙂
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Wunderschön geschrieben! Ich mag sehr die Passage der Blätter, die dem Moder entgegen taumeln,der auch uns eines Tages erwartet. Mit der diesjährigen Melancholie habe ich meine Mühe, dein Text ermuntert mich das Gold in ihr zu finden. Dankeschön dafür.
Herzlichst
Ulli
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Du bringst den Inhalt auf den Punkt, mit der Suche nach dem Gold in der Melancholie, liebe Ulli. Dafür habe auch ich zu danken.
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Wirklich schön geschrieben. Für gewöhnlich finde ich so lange Sätze anstrengend, aber hier transportieren sie die Stimmung. Vor allem der erste Satz hat es mir angetan.
Grüße, Katharina
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Danke, Katharina.
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Mir gefällt die „Durchlässigkeit zum Unbewussten“, die du ansprichst. So hat jede Jahreszeit, jeder Monat seinen Charakter. Wunderbar geschrieben. (Ach. Da waren irgendwo lange Sätze? Echt jetzt? 😉 )
Liebe Grüße
Christiane
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Vielen Dank, Christiane. Mich freut sehr, dass du dir darunter auch etwas vorstellen kannst. Dafür hat wohl jeder so seine eigenen Empfindungen, genau wie für die Längen von Sätzen. LG, Heide 🙂
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Wow! Bewillkommnen ist ein feines Wort. und dein Text hat lyrischen Charme. 🙂
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Danke, Gerhard, es freut mich, dass du den empfindest.
Vielleicht fördert das Lesen der Worte des Tages bei Frau Wildgans die Neigung, sich wieder besonderen Worten zuzuwenden?
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Großartig geschrieben, meine Hochachtung! Diesen schwierigen (schwermütigen) Gemütszustand hast du zugleich offen-ernst, aber auch tröstlich-spielerisch umrissen. Passt außerdem gut zu meiner eigenen Einstellung zum Herbst.
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Danke, Christoph. Den scheinbaren Gegensatz zum Frühling jetzt durch dein Lesen und Kommentieren herausgehoben zu sehen, passt auch gerade erstaunlich gut.
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