Mein 4. Text zu Christianes Schreibeinladung für die Textwochen 39.40.20 | Wortspende von kommunikatz ‹ Irgendwas ist immer mit Leas Begriffen: Pilze – traurig – schlafen für eine Etüde von maximal 300 Wörtern, ohne Hinweise und die Überschrift mitzuzählen.
Gesammeltes
Eine Gartenzwergsammlung kann man erben, viel Geld, ein gediegenes Haus mit Biblio- und Vinothek oder doch nur ein trauriges Sammelsurium alten Gerümpels auf dem Dachboden und muffige, alte Schuhe im Keller. Man kann sich freuen, die starkblaue Augenfarbe vom Vater zu haben und befürchten, die ostpreussische Schnabelnase der Grossmutter an künftige Nachkommen weiterzugeben, womöglich in Kombination mit dem Hang zur Besserwisserei. Es kommt, wie es kommt.
Gerne weitergeben möchte ich den wunderlichen Schatz aus mehreren Generationen bunt zusammengewürfelter Familiensprache: all das altmodische Verbumfiedeln und Vergackeiern, das mundartliche Murkeln, Jabbern und Schettern, die Dambedeis, Schweschtern und Schneggenudle, die kindlichen Putzigkeiten “netzt” und “wangweilig”, die immer wieder anstelle der richtigen Aussprache liebevoll in den Sinn kommen, oder die Redewendungen, die in bestimmten Situationen immer erinnert werden, wie der allweihnachtliche Ausruf der Schnabelnasengrossmutter: „So eijn scheenärr Baum!“ der lange nach ihrem Tod noch im innehaltenden Moment vor der Bescherung am Heiligabend im Ohr klingt, wie die Erklärung der Mutter, wenn sie die im Wald gesammelten Pilze braun geschmurgelt aus der Pfanne auf den Teller schob, auf die ungestellte Frage, wie sie denn heissen: „Emma, Frieda, Martha Pilz!“, wie schon ihre Eltern zu scherzen pflegten.
“Murmeltier kann nichts dafür!” haben wir aus einem von unseren Kindern geliebten Bilderbuch übernommen und bei minderschweren Schuldfragen zum geflügelten Wort gemacht – wer weiss: vielleicht fügt es sich sogar später dem lebendigen Prozess der Sammlung unserer Kinder hinzu?Dass, wer in ein Heim kommt, nimmer heimkommt, darf genauso getrost vergessen werden, wie die unter dem Tisch steckenden Füsse, Nachhalle im Hinterkopf, die man ebensowenig braucht wie schimmelige Schuhe im Keller. Zum Glück hat man beim Weitergeben von Worten die Macht der Wahl, wie man will, anders als bei roten Haaren oder Segelohren, die bis zu ihrem Auftritt im gemeinsamen Genom von gleich zwei Famillienseiten schlafen.
(300 Worte)
Emma, Frieda, Martha und die anderen
Sähr witzig, muss ich gleich nochmal lesen. Diese Schnurren und Wortungetüme, einfach prächtig.
LikeGefällt 1 Person
Schnurrchen erzählen – für nicht ganz glaubhafte Geschichten: das hätte auch noch dazu gehört, wie noch einige andere. Aber man muss ja irgendwie die Bremse ziehen, um nicht über die 300 Worte hinaus zu galoppieren .
Du hast sicher auch so einen dir zugewachsenen Wort-Schatz, den du ständig durch eigene Schöpfungen ergänzt, lieber Gerhard 🙂
LikeGefällt 1 Person
Ach, ist das schön! Und das stimmt mit den Worten, die man erbt, die habe ich auch, und die Sprecher auch dazu. 😉
Danke für die Erinnerung 😁
Liebe Grüße von unterwegs, bin vermutlich die nächsten paar Tage wenig online
Christiane 😁☕
LikeGefällt 3 Personen
Schön, dass es auch bei dir eine Saite anschlägt. Geniesse deine Unterwegs- und Analogtage! 🙂
LikeGefällt 1 Person
Fantastischer Text. 😊 Das mit der Sprache fällt mir auch immer auf. Vor allem wenn man dann aus Versehen die selben Worte bei jm anderem anwendet und der fragend schaut. 😅
LikeGefällt 2 Personen
Danke, Katharina! Die Situationen können viel offenbaren, zwischen freundlich-offener Neugier und Ablehung ist dann alles möglich.
LikeGefällt 1 Person
Wunderschön, und auch ich habe Erinnerungen….. hach…..
LikeGefällt 1 Person
Wie schön, auch du!
Vielen Dank 🙂
LikeGefällt 1 Person
Ich reihe mich ein, bei mir gibt es auch massenhaft solcher Wörter und vor allem mein vater und ich kultivieren diese Familiensprache mit großer Begeisterung. Ein Freund der Familie machte sich vor über 20 Jahren einmal die Mühe, ein kleines Wörterbuch unserer Spezialausdrücke zu erstellen. Da mein Vater Robert heißt, bekam er dann zum Geburtstag einen „Petit Robert“ der Heuser-Sprache geschenkt 🙂
LikeGefällt 1 Person
Das ist ja toll, dass es sogar von den passiven Konsumenten eurer Familiensprache die Initiative für eine Aufzeichnung gegeben hat!
Schön auch, wenn man sich der Besonderheiten so bewusst ist, dass man damit vorsätzlich spielen kann.
Vielen Dank für die schöne und anregende Ergänzung, Lea.
LikeLike
Höre ich da etwas Ostpreussen heraus?
Sehr sinnige Etüde! Gefällt!
LikeGefällt 1 Person
Ja, ganz recht. Eine verschwindende Sprachmelodie. Verfügst du auch über familiäres Insiderwissen? Vielen Dank, Werner!
LikeLike