Schweinebaumeln am Globus und bei Regen unter den Fliegenpilz – Schreibeinladung für die Textwochen 39.40.20

Kaum zu fassen, dass die drei aktuellen Begriffe zu Christianes Schreibeinladung für die Textwochen 39.40.20 | Wortspende von kommunikatz ‹ Irgendwas ist immer Pilzetraurigschlafen so ergiebig sind. Ständig fördern sie neue Assoziationen zutage. Dies ist tatsächlich meine 5. Etüde dazu, auf die ich den Regeln entsprechend nicht mehr als maximal 300 Wörter verwenden durfte, auch wenn man die Hinweise und die Überschrift nicht mitzuzählen braucht.

2020-09-30 ABC-Etüden Pilze+traurig+schlafen (Spielplatz Lüchow Schützenpark 60er Jahre 800×600)

 

Schweinebaumeln am Globus und bei Regen unter den Fliegenpilz

Die Spielplätze meiner Kindheit waren von bunt lackierten, eisernen Geräten dominiert. Gern liessen wir uns in der „Kaffeemühle“ herumwirbeln, einem Sitzkarussell, das über ein Schwungrad in der Mitte gedreht wurde. Während die einen wegen Übelkeit jammerten, hängten sich andere dran, um ihre Unerschrockenheit zu beweisen, sprangen rückwärts ins Gras.

Über Kletterbögen stieg man von einem Ende zum anderen oder hangelte an der Unterseite. Es gab Raubtiertunnel und Iglus zum Klettern, und wer es beim Globus bis ganz nach oben geschafft hatte blickte stolz um sich. Vor allem Mädchen nutzen die Querstange in der Mitte oder die unteren für Kunststückchen mit ländlich-robustem Namen; beim Schweinebaumel oder Speckhängen hing man mit den Kniekehlen eingehakt, kopfüber und auch freihändig: so liess sich gut plaudern und dabei mit Hölzchen im Sand zeichnen.

Ich bin nur einmal heruntergefallen. Kein Erwachsener hat es gesehen, denn auf den Spielplatz in der Nähe vom Elternhaus gingen wir allein und blieben, solange wir konnten. Traurig ist daran nur, dass es deshalb keine Spielplatzfotos im Familienalbum gibt.

Auf dem liegenden Kletterbaum stellten wir uns Piraten- und Tiergeschichten vor, auf den Ästen zu schlafen bauten wir in die Geschichten ein. Bei Regen suchten wir unter einem blechernen Fliegenpilz Schutz, normalerweise war das ein Hängekarussell.
Man musste sich am Gestänge im Hut solcher Pilze festhalten und mit den Füssen anlaufen, bis der Schwung zum Fliegen reichte. Trommelten wir mit den Füssen gegen den dröhnenden Blechfuss, ging alsbald gegenüber im Haus ein Fenster auf, und die Frau von oben schimpfte.

Nach und nach verschwanden die alten Geräte vom Spielplatz meiner Kindheit, der Globus wurde sogar erst dieseits der Jahrtausendwende abgebaut, ohne im Frühling frisch gestrichen wieder auf seinen Platz zurückzukommen, wie all die anderen in den Jahrzehnten zuvor. Wie ich im Web herausfand, stammte diese Generation allgemein verbreiteter Spielgeräte aus dem 50er Jahren.

(300 Worte)

 
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14 Gedanken zu “Schweinebaumeln am Globus und bei Regen unter den Fliegenpilz – Schreibeinladung für die Textwochen 39.40.20

  1. Diese ganzen Geräte kenne ich auch noch. Sie werden m.E. nicht mehr verwendet, weil immer mehr Klagen gegen die Kommunen laufen, wenn mal ein Kind verunglückt. Früher hieß es von Seiten der Eltern:“ hättest du besser aufpassen müssen“ und man hat es einfach hingenommen, weil so etwas halt passiert. Heute wird eher die Verantwortung bei Anderen gesucht, und deshalb wird vom Amts wegen auf solche Geräte verzichtet.
    Schade eigentlich.

    Gefällt 4 Personen

    • Nachdem meine eigenen Kinder auf den modernen, angeblich sichereren Holz- und Netzspielplätzen herumgeklettert sind, auf denen es (bei anderen Kindern) sogar zu schweren Unfällen mit Stürzen aus grösseren Höhen gekommen ist, möchte ich das zwar bezweifeln, aber letztendlich sind heute selten Kinder allein auf dem Spielplatz, was Einfluss auf die Zahlen haben mag.
      Dass manche Begleitpersonen lieber auf den Bänken sitzend in die Smartphones glotzen, statt auf die Kinder zu achten, ist im Schadensfall wahrscheinlich dann ihre Schuld und vermutlich kommt generell zu mehr Juristereien rund um Spielplatz-Vorfälle als früher, bei denen die Geräte in den Hintergrund treten.
      Dass die neuen Anlagen vielfältigere Möglichkeiten bieten, ist ja ganz schön, aber ohne die ganzen hüttenartigen Bauten, in denen jemand, der nicht zum Spielen gekommen ist, sich zu anderen Zwecken verbergen kann, müsste man vermutlich weniger Schnapsflaschen und Drogenspritzen wegräumen.

      Gefällt 2 Personen

  2. Ich kenne einiges davon von alten Spielplätzen, aber ich scheitere bei dem Fliegenpilz – wie ging das?
    Ach, ich habe als Kind Schaukeln und Wippen geliebt, davon war ich nicht herunterzukriegen. Da ich ländlich aufgewachsen bin, waren Kletterstangen nicht so der große Hit, wir kletterten auf echte Bäume (und fielen selbstverständlich nicht herunter) 😉
    Ich bin ziemlich glücklich, dass bei dir die Assoziationen sprießen wie die Pilze, bei mir ist diesbezüglich gerade eher Ebbe 😦
    Mittäglich herzliche Grüße
    Christiane 😉

    Gefällt 1 Person

    • Das einzige Foto, was ich auftreiben konnte, ist das unscharfe Bild, das ich zum Titelbild genommen habe. Darauf ist ein solcher Pilz neben einem Kletter-Globus zu sehen. Der Fliegenpilzhut sitzt auf einer senkrechten Achse, die durch den blechverkleideten Fuss nach unten geht, und durch den Anlauf für die Drehung sorgt. Im Hut und nur von unten sichtbar ist ein Haltegestänge angebracht, an dem man sich festhalten muss, damit man zuerst den Pilzhut beim Drumherumlaufen in Schwung bringt. Dann muss man die Beine heben und durch die Fliehkraft, sich mit den Händen festhaltend, wird man schräg nach aussen getragen, „fliegt“.

      Gefällt 3 Personen

  3. Wow, was für ein cooler Spielplatz! An den Geräten hätte ich einen riesigen Spaß gehabt, aber in meiner Kindheit in den 1980ern hatten wir mehr Spielgeräte aus Holz, zumindest auf dem Spielplatz in meiner Nachbarschaft. Ein Karussell hatten wir gar nicht, weder eins zum Sitzen noch zum Hängen. Klettergerüste waren auch Fehlanzeige, nur eine Holzburg mit Turm gab es, außerdem Rutschen und Stangen zum Turnen, aber nix Richtiges zum Klettern. Ich habe Klettergerüste geliebt, egal ob aus Metallstangen oder aus dazwischen gespannten Seilen. Von sowas war ich nicht runterzukriegen 🙂 Aber es war auch kaum ein Baum vor mir sicher, Klettern war das Beste überhaupt. Schöne Verwendung der Wörter und danke für so viele nostalgische Gedanken in meinem Kopf!

    Gefällt 1 Person

    • Es konnten offenbar keine Geräte ohne DIN-Normen stehen gelassen werden, was ich reichlich absurd finde.
      Deshalb gibt es wohl auch keine einfachen Baumstämme zum Balancieren oder glatt entrindete Bäume, die man einfach in weichen Sand gelegt hat, die zum Klettern alles hatten, was man brauchte.
      Dass meine Erinnerungen auch bei dir an deine eigenen rühren, freut mich ganz besonders.

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