Zu Wortman’s > P10 Themenwort W#09 lautet das Themenwort der Woche 9 von 10: Vergänglichkeit.
Meine Bildauswahl fiel, naheliegend bei diesem Wort, auf einen ganz speziellen Umgang mit dem Tod bzw. seinen sterblichen Überresten in der „Knochenkirche“ von Sedlec in Tschechien als Zeugnis des anschaulichen „Memento mori“, lat. gleichbedeutend mit „Sei dir der Sterblichkeit bewusst“.
Im Oktober 2019 kam ich auf der Durchreise von Deutschland nach Österreich nach Kutná Hora, und habe dort die kleine Altstadt, die Kathedrale Mariä Himmelfahrt und den nahegelegenen Friedhof von Sedlec besucht, wo sich im Untergeschoss der Allerheiligenkapelle die sogenannte „Knochenkirche“ befindet, wegen der die meisten Besucher nach Kutná Hora kommen. Ich berichtete darüber > hier, für das P10 habe ich 4 Bilder ausgewählt.
Wie kam es dazu, dass die Gebeine so vieler Verstorbener auseinandergenommen und zu einem nach heutigen Vorstellungen gruseligen Kunstwerk aus Girlanden und Aufreihungen von anonym arrangierten Knochen und Schädeln neu zusammengesetzt wurden, die entfernt an Schnitzereien oder von Steinmetzen gearbeitete Dekorationen erinnern ?
Laut Legende brachte ein Abt des Klosters im 13. Jh. von der Kreuzigungsstätte zu Jerusalem eine Handvoll Erde mit und verstreute sie auf dem Friedhof. Dadurch galt den Gläubigen nun sein gesamtes Areal als heiliger Boden.
Deshalb wurde der Friedhof von Sedlec zu einem der begehrtesten Bestattungsorte Mitteleuropas! Nicht nur Menschen aus der Umgebung, sondern auch aus Böhmen, Polen, Bayern und den Niederlanden wollten dort bestattet werden. Durch Pest-Epedemien im 14. Jh. sowie die Hussitenkriege im 15. Jh. kamen Massengräber hinzu, der Friedhof wuch auf 3,5 Hektar an, bis man ab Ende des 15. Jhs. die Fläche wieder verkleinerte: die dabei exhumierten Reste ca. 60.000 Verstorbener wurden im Beinhaus der damaligen, aus dem 14. Jh. stammenden Allerheiligenkapelle deponiert.
Weil sich im Laufe der Jahrhunderte einige Wände der Kapelle neigten, wurden zu Beginn des 18. Jahrhunderts Eingangsbereich und Kapellenraum des zweistöckigen Baus durch Johann Blasius Santini-Aichl im Stil „barocker Gotik“ umgestaltet. Doch erst nachdem die Fürstenfamilie Schwarzenberg das Kirchengebäude kaufte und 1870 den Holzschnitzer František Rint mit der Innenausstattung beauftrage, entstand, was als „Knochenkirche von Sedlec“, Kostnice Sedlec oder auch das Sedletz-Ossarium bekannt wurde und heute als Sehenwürdigkeit gilt.
Jährlich besuchen um die zweihunderttausend Menschen die Kapelle. Die meisten Teilnehmer im touristischen Andrang wirkten achtungsvoll befangen beim Betrachten der knöchernen Kunstwerke und dank der überwiegenden Handyfotografie wurde ohne Blitz geknipst. Selfies sind dennoch wegen allzu grosser Unachtsamkeit seit 2020 in der Knochenkirche verboten. Die Einnahmen der Eintrittsgelder kommen dem Erhalt zugute.
Die Fotos sind vom Mittag 13. Oktober 2019, aufgenommen in Sedlec, Kutná Hora, Tschechien.
Boah… das ist echt heftig.
Die Kirche habe ich gleich mal in meine „must see“ Liste aufgenommen.
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Es lohnt sich, dort mal hinzufahren, weil es nicht nur die Kapelle gibt. Die Altstadt ist klein, aber hübsch, die erwähnte St. Barbara-Kathedrale sehenswert und die hügelige Umgebung ca. 40 km östlich von Prag fand ich auch sehr schön. Ein paar Tage kann man da schon verbringen.
Schau mal, hier ist mehr von der Stadt zu sehen:
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450 km hat mir Maps vorgerechnet. Ist ja ein halber Katzensprung. 🙂
Den Link schau ich mir gleich an.
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Ja. Von uns aus mehr, aber auf dem Weg zum Neusiedler See fahren wir immer bis kurz hinter Prag, und haben da schon verschiedene interessante und abwechslungsreiche kleine Hotels gefunden.
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Das hört sich ja gut an 🙂
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Unbedingt!
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🙂
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WOW da bleibt einen das Staunen.
Danke fürs zeigen.
Leider werde ich nicht mehr die Möglichkeit haben, dort hinzufahren..
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Das ist schade, aber man kann einfach nicht überall gewesen sein, wo es interessant wäre, das empfinde ich auch.
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Ohhhhh, danke, das ist ein eindrucksvolles memento mori, das ich auch nicht kenne. Richtig schaurig die Girlanden aus Oberschenkel oder Oberarmknochen … Wie sich die gesellschaftlichen Normen und Gepflogenheiten doch ändern.
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Das 19. Jh. hat darin regelrecht geschwelgt, auch mit dem Trauerschmuck, aus geflochtenen Haaren der geliebten Verstorbenen gefertigte Ketten und Broschen, vor denen sich heutige Erben und andere Auffinder nur grausen.
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Ich denke oft, dass es womöglich ein natürlicherer Umgang mit dem Tod war, als das, was wir heute betreiben …
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Die Nähe der Vergänglichkeit zuzulassen statt sie zu verdrängen war vermutlich der einzig gangbare Weg zu einer Zeit grosser Sterblichkeit bei Krankheit, Geburt und Gebären, was ja alles zuhause stattfand.
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Das muss ein lukratives Geschäft gewesen sein, ein bisschen Erde, eine passende Story dazu, und schon kommen Leute von überall her, um die sterbliche Hülle ihrer Angehörigen am „heiligen“ Ort bestatten zu lassen. Jetzt wirkt er nicht mehr besonders „heilig“. Scheint aber wieder ein lukratives Geschäft zu sein.
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Ob es ein einträgliches Geschäft war, habe ich zwar bei meinen Recherchen nicht gelesen, aber du hast sicherlich Recht damit, dass anzunehmen ist, Gästebeherbergung und Bestatttungsdienste vorort hätten auch Einkünfte mit sich gebracht, allerdings weiss ich nichts darüber, ob man das mit modernen Gewohnheiten vergleichen kann. Schliesslich war man im14. / 15. Jh. hinsichtlich Grabgestaltungen etc. nicht sonderlich prunkvoll. Damals war der sogenannte „Gottesacker“ meist nur grasbewachsen.
Die Kapelle mit ihrer Ausgestaltung ist nicht als geisterbahnähnliches Spektakel anzusehen, sondern als heute schwer nachvollziehbares Kunstwerk, eine letzte Würdigung von Gebeinen zu Ehren der „Krone des Lebens“, die man auch auf einem der Fotos entdecken kann.
Was man davon hält, liegt im Auge des Betrachters.
Lukrativ kann nur sein, woraus jemand Gewinn erzielt. Das Gebäude und seinen Inhalt von dem kleinen Obulus zu erhalten , dürfte schwerlich als lukrativ zu bezeichnen sein.
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Das ist ja beeindruckend. Ich bin ganz hin und weg! Dazu diese merkwürdige Wirkung der langen Arm- und Beinknochen, die mich in Form dieser Girlanden eher an Gardinen erinnern. Schräg und faszinierend zugleich. Ich finde das gar nicht mal so gruselig, eher putzig, weil die Deko mit Gebeinen so ungewöhnlich ist 🙂 Danke fürs Zeigen. Echt spannend.
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Man merkt deine textile Phantasie.
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Kommt wohl immer wieder durch 😉
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Irgendwie faszinierend und makaber zugleich …
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Ich denke, je mehr Gründe man für ein Verständnis dessen sucht, desto bereicherter an neuen Gedanken kommt man wieder zurück ans Tageslicht.
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Unglaublich … war mal in einer Kapelle, auch fast in Tschechien, nämlich in einem tschechisch-polnischen Grenzort, da sah es ähnlich aus, aber in viel, viel kleinerem Maße.
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Danke, Martin, für diese interessante Ergänzung! Dass es weitere solcher Gestaltungen gibt, wusste ich nicht, aber die bemalten Schädel im Beinhaus von Hallstatt sind auch nicht einzigartig im Alpenraum.
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https://pl.m.wikipedia.org/wiki/Kaplica_Czaszek_w_Kudowie-Zdroju – so sieht es da aus – auf dem Friedhof neben der Kapelle sind die Großeltern meines Schwagers begraben, deshalb war ich mal da …
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Die Kapelle wirkt in der Gestaltung auf den ersten Blick einfacher, aber auf den zweiten auch eindrucksvoll. Hatte der Besuch auch den gewünschten Erfolg?
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Erfolg? Voller Erfolg sozusagen, die Gräber waren gepflegt (kümmert sich ein Verein drum) und ich habe in der Sonne gesessen und bunte Fotos von für uns merkwürdiger polnischer Grabdeko gemacht .
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Mein Vater war seinerzeit auch ganz überrascht, bei einem Besuch in seiner alten Heimat bzw. der seiner Mutter den kleinen Friedhof liebevoll betreut zu finden.
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