Schloss Charlottenburg

Es war für Rückfahrt ins Wendland geplant, bei der Gelegenheit noch einmal anzuhalten und einen Blick auf das Schloss Charlottenburg zu werfen, bzw. „auf Schloss Charlottenburg und seine Baustellen“, denn es stellte sich als Herausforderung dar, Standorte und Bildausschnitte so zu wählen, dass Bauplanen, Flatterband und Kräne nicht ins Auge stachen.
Weil Hinweistafeln Einschränkungen ankündigten, verschob ich die Besichtigung des nach dem Kriegsvandalismus rekonstruierten Schlossinneren auf ein unbestimmt späteres Mal und beließ es bei einem Rundgang um das Schloss herum.
Die Schlossanlage hat es eine wechselvolle Bau- und Nutzungsgeschichte durchgestanden, an der verschiedene Architekten und historische Umstände beteiligt waren. Zunächst wurde das Alte Schloss 1695-99 als Schlösschen im italienischen Stil unter dem Namen Lietzenburg für Sophie Charlotte Herzogin von Braunschweig und Lüneburg, Gemahlin des damals noch Kurfürsten Friedrich III., nach Plänen Johann Arnold Nehrings begonnen, der während der Arbeiten verstarb; dessen Werk wurde zunächst von Martin Grünberg übernommen, später niedergelegt und erst durch den Bauleiter Andreas Schlüter 1699 vollendet, mehr Villa und Damen-Gartenhaus als Schloss.
Die Umwandlung in ein „richtiges Schloss“ als Residenz war schon seit der Krönung Friedrich I. geplant gewesen; Johann Friedrich Eosander von Göthe erweiterte das Schlösschen mit Turm, Kapelle und Orangerie zur Dreiflügelanlage. Während dieser von 1702-13 dauernden Phase verstarb Königin Sophie Charlotte im Jahr 1705, das Schloss erhielt ihr zu Ehren den Namen Charlottenburg.
Hier hätte auch das durch König Friedrich I. 1701 in Auftrag gegebene und von Andreas Schlüter entworfene sagenhafte Bernsteinzimmer eingebaut werden sollen, das stattdessen nach dem Tod Friedrich I. ins Berliner Stadtschloss kam und dort 1716 von Friedrich Wilhelm I. an den russischen Zaren Peter den Großen u.a. im Austausch gegen russische „Lange Kerls“ verschenkt wurde.

Das Portal zum Ehrenhof mit den beiden Wächterhäuschen und dem schmiedeeisernen Gitterzaun wurden um 1705 von Eosander von Göthe entworfen. Mit den schildschwingenden Männerfiguren, die nah und von vorn zu zeigen mich vermutlich meinen WordPresss-Account kosten würde, hat Eosander von Göthe aber nichts zu tun: die Schwertkämpfer sind (sehr wahrscheinlich) in der Berliner Giesserei Moritz Geiss in einem damals neuartigen Verfahren aus Zink-Hohlguss hergestellte Kopien einer antiken griechischen Marmorskulptur aus dem 1. Jahrhundert vor Christus, Agasias aus Ephesos zugeschrieben. Diese wurde im 16. Jahrhundert bei Ausgrabungen in Anzio bei Rom in der Villa des Kaisers Nero gefunden, und seit 1613 in der Villa Borghese aufgestellt, weshalb sie „Borghesischer Fechter“ oder richtiger Borghese Gladiator genannt wird. Als Napoleon Bonaparte König von Italien war (1805–1814),brachte er 1806 die antike Skulptur in den Pariser Louvre, als beschädigten Torso ohne Schild und Schwert. Es ist eine der im 18. Jh. am meisten bewunderten und kopierten Arbeiten der Antike, wobei man bei den Kopien idealisierend und mit ästhetischer, anatomischer und wie auch immer sonst motivierter Begeisterung alles Beschädigte ergänzte.
Das Tor von Schloss Charlottenburg hütet das Doppel seit den vierziger Jahren des 19. Jhs., zunächst noch mit zusätzlichen Feigenblättern, aber unbewaffnet. Das verhüllende Blatt wurde ihnen später genommen, dafür Schilder und Schwerter in die Hände gegeben. In den 80er Jahren des 20. Jh. wurden sie zur Restauration herunter genommen und später wieder, blitzweiss, auf ihre Plätze zurückgestellt.
Ebenfalls nicht in historisch direktem Zusammenhang steht das den Ehrenhof dominierende Reiterstandbild. Der 1688 verstorbene Große Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg war zwar als Vater des Kurprinzen Friedrich und späteren Kurfürsten Friedrich III. bzw. König Friedrich I. der Schwiegervater der ersten Hausherrin, aber als der Große Kurfürst 1688 starb, war der spätere Platz für das Schloss noch weitere sechs Jahre eine unbedeutende sumpfige Wiese beim sorbischen Dorf Lietzow.
Das Standbild ist dort sogar richtig fehl am Platze, denn wäre es nach dessen väterlichen Plänen gegangen, wollte Friedrich Wilhelm, der ‚Große Kurfürst‘ nicht seinen nach dem Tod der beiden älteren Brüder in der Erbfolge aufgerückten Ältesten zum Gesamterben machen, sondern seine Ländereien in Brandenburg, Polen, Westfalen und am Genfer See unter seinen fünf Kindern aus erster und zweiter Ehe aufteilen, was durch die Eigenkrönung des Kurprinzen Friedrich zum ersten Preußischen König Friedrich I. vereitelt wurde.
Ohne dieses Vorgehen des durch einen Unfall im frühen Kindesalter an der Schulter verkrüppelten „Schiefen Friedrich“ gegen den Willen seines Vaters (und dessen zweiter Ehefrau) hätte es ein grosses Preussen nie gegeben.
Die in der Hauptperson von Andreas Schlüter gestaltete Skulpturengruppe des Großen Kurfürsten zu Pferd war bis zum Zweiten Weltkrieg auf der Langen Brücke nahe des Berliner Schlosses gestanden, heute steht das Original im Bode-Museum und die Kopie seit 1952 im Ehrenhof des Schlosses Charlottenburg.

Bei der mit einem Fuß auf einer Kugel balancierenden, goldenen Fortuna auf der Turmkuppel handelt es sich nicht um eine Kopie, sondern um eine dem Original nur ähnliche Nachschöpfung. Sie soll sich mithilfe ihres Schleiertuchs nach dem Wind drehen können, zum Thema Fortuna / Glück eine hübsche Idee. Ihre verschwundene Vorgängerin von 1711 konnte das vermutlich auch, deren Schleier war, soweit auf alten Vorkriegsbildern erkennbar, sogar ein Gutteil größer. Der Schöpfer der barocken, aus Kupfer getriebenen und vergoldeten Fortuna war der Kupferschmied Andreas Heidt (oder auch: Haid) ; in der rechten Hand soll sie eine Maus gehalten haben, auf der seine Signatur zu finden war.
Würde die neue Fortuna nicht dem mit mehreren extrem hohen deutschen Auszeichnungen verschiedener Regierungsperioden gewürdigten Bildhauer und Medailleur > Richard Scheibe zugeschrieben, der sie in den 50er Jahren geschaffen haben soll, hätte ich mich ohne die auf dem gezoomten Foto erkennbare wulstige Naht, die um ihren Brustkorb führt und die ich für einen so erfahrenen Künstlers seltsam finde, nicht näher damit befasst. Es gibt wohl Zeichnungen, u.a. > eine Entwurfszeichnung von einer wesentlich üppigeren und naturalistisch-weiblicheren Fortuna mit anderer Fußhaltung, mehr hängender Schleierform und weicheren Gesichtszügen von 1955, die Richard Scheibe angefertigt hat, aber hat der fast Achtzigjährige die trotz Brüsten androgyn wirkende Figur, die seit 1957 die neue Kuppel krönt, noch selbst gefertigt, wie überall angegeben? Nicht, dass es überraschend oder gar schlimm wäre, falls nicht: es passt ins Wiederherstellungskonzept des nach dem Krieg zerstörten und von Abriss- und Umbauplänen bedrohten Schlosses Charlottenburg und seinen Anlagen unter Leitung der Kunsthistorikerin und ersten Direktorin der Berliner Schlösserverwaltung, Margarete Kühn. In diesem Ensemble aus Altem, Restauriertem und Nachempfundenem verschwimmt alles miteinander. Was ist Museum, was Kulisse? Näheres ist sehr interessant nachzulesen > hier. Besonders interessant fand ich die Mittel, zu denen kurz vor der Kriegszerstörung des Schlosses noch gegriffen wurde, um wenigstens bewegliche Gegenstände zu retten und Deckengemälde per Fotografie bildlich zu sichern, so gut es ging. Auch die Lösungswege beim Auswahl und Erstellen eines Bildes vom Schloss, das seit seiner Entstehung vielen baulichen und stilistischen Adaptionen von wandelndem Zeitgeschmack und Bedarf unterzogen worden war, werden darin nachvollziehbar.

Die auf der Balustrade des Daches vom Alten Schloss stehenden weissen Attika-Figuren sind barockisierende Neuschöpfungen moderner Künstler von 1970, die sich zwar auf eine Skizze Eosanders von Göthe beziehen, aber nur geplant und nicht, soweit historisch nachweisbar, jemals zuvor verwirklicht.
Auch die Sandsteinskulptur der Flora vor dem von Friedrich dem Großen nach seinem Regierungsantritt 1740 in Auftrag gegebenen Neuen Flügel bzw. der Orangerie ist kein Original, sondern eine Kopie von Fritz Becker aus dem Jahr 1962. Das vom Bildhauer Jeremias Süssner 1687 geschaffene Original befindet sich im Inneren des Schlosses, das mit seinen Räumen heute als Museum mit verschiedenen Sammlungen dient. Aus dem ruinösen Zustand des Schlosses wurde ein suggestives Abbild erschaffen, wo man eine tatsächliche Restauration unmöglich zustande bringen konnte. Je länger ich über diese Problemlösung nachdenke, desto mehr kann ich mich nach anfänglicher Ent-Täuschung damit anfreunden.
So verhält es sich auch mit dem über 50 ha. große Schlossgarten, gern als ältester erhaltener Barockgarten Deutschlands bezeichnet; tatsächlich wurde er einst 1695-97 als erster deutscher Barockgarten von Siméon Godeau für die Gemahlin des Kurfürsten, die spätere Königin Sophie Charlotte, angelegt, aber er überdauerte in dieser Form nicht einmal zwanzig Jahre! Bereits während der Regierungszeit des „Soldatenkönigs“ zwischen 1713 und 1740 wurde der Etat für die Pflege des Garten durch König Friedrich Wilhelm I. stark gekürzt, Teile davon für Pflanzenzucht zum Verkauf genutzt bzw. als Ackerland verpachtet.
Von 1740 bis 1786 ließ Friedrich II. den Lustgarten im (damals) modernen Stil des Rokkoko wieder herstellen, während anschließend Friedrich Wilhelm II. 1786–1797 den romantischen Trend zu englischen Landschaftsgärten bevorzugte, und Friedrich Wilhelm IV. im 19. Jh. barocke Elemente wieder anlegen ließ.
Das heutige historisierende Erscheinungsbild entstand zwischen 1958 und 1968, als nach den Kriegsschäden und der Nutzung als Kartoffelacker in der Not der Nachkriegszeit anhand von Formen-Vorbildern aus Barock und Rokkoko der Park neu angelegt wurde. Ich fand die Beete mit gemischt-bunten Sommerblumen (Malven, Ringelblumen, Skabiosen, Prunkwinden, Cosmeen) überraschend, aber hübsch und ökologisch erfreulich. Schade nur, dass auch hier mal wieder ein Brunnen trocken lag und ich die Fontäne nicht zu Gesicht bekam.

Im hinteren Parkbereich stehen „einfach nur Bäume“, ab und zu von geraden Alleen geteilt, so dass man den Parkcharakter nicht aus den Augen verliert. Eine der so geschaffenen Sichtachsen verläuft zum > Mausoleum (siehe unten), das 1810 zu Ehren der 1810 verstorbenen, sehr beliebten preussischen Königin Luise (Luise von Mecklenburg-Strelitz, Gemahlin von König Friedrich Wilhelm III.) weiter hinten im Schlosspark errichtet wurde. Mit dem Bau waren die Architekten Heinrich Gentz und Karl Friedrich Schinkel befasst, um einer kurzen Bauzeit willen verwendete man z.B. Säulen aus dem Schloss Oranienburg und Treppenstufen aus dem Park von Sanssouci und so konnte die im Juli Verstorbene weniger als ein halbes Jahr später im Dezember 1810 dort bestattet werden. Später wurde das Mausoleum für weitere Bestattungen erweitert.

Das Mausoleum soll an einem Lieblingsplatz der Königin am Ende einer Tannenallee errichtet worden sein, und Tannen stehen auch heute wieder dort. Vielleicht hatte es auch damals so niedliche Eichhörnchen gegeben?
Unweit davon befindet sich auf einem Rondell zwischen hohen Hecken eine Athene / Minerva-Skulptur, von der es heißt, sie trage die Gesichtszüge der ersten Schlossherrin. Überrascht es noch, dass die von mir fotografierte Statue nicht das vom niederländischen Bildhauer Bartholomäus Eggers 1682 geschaffene Original ist? Die 1740 im Schlosspark aufgestellte Originalfigur wurde 1989 nach Beschädigungen entfernt und durch eine von Heinrich Kube und Dietrich Starke angefertigte Kopie ersetzt.

Auf den Fotos ist es ja zu sehen: das Wetter wartete mit dunklen Wolken auf seinen Regenauftritt. Darum habe ich nicht den ganzen Park durchstreift, sondern bin zu Parkplatz und Auto zurückgegangen, um für diesmal den Berlin-Aufenthalt zu beenden.

16 Gedanken zu “Schloss Charlottenburg

    • Dankeschön! „Erschöpfend“ empfinde ich als in jeder Hinsicht passendes Wort, denn die Unzufriedenheit mit bestimmten Gegebenheiten entwickelte einen unvorhersehbaren Sog. 🙂

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    • Ich habe überlegt, ob der Name wohl ebenso ein zusammengesetzter aus dem Griechischen ist, wie „Lysander“, was gebildet wird aus „befreit“ und „Mann“, nur mit Eos, der Morgenröte: vielleicht ein Name für jemanden, der mit der aufgehenden Sonne geboren wurde? Oder ein hoffnungsvoller Name, dass dieser einmal eine solche „aufgehende Sonne“ werden sollte?

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  1. Welch ein fulminanter Abschluss Deines Berlin-Tour-Berichts!
    Neben der spannenden (mehr als ich geahnt hatte) Geschichte des Schlosses Charlottenburg ist da noch viel preußische (Dynastie- und sonstige) Geschichte eingebaut – und heutige Parkbepflanzung, Bernsteinzimmer und Kaiser Nero kommen auch noch vor 😉 Ganz zu schweigen von den wieder mal gelungenen und bestens dazu passenden Fotos – Ganz toll! 🙂

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