Fünf nach zehn an der Gedächtniskirche

Um fünf nach zehn, immer noch am Breitscheidplatz, bei einem der bekanntesten Gebäude Berlins, der Gedächtniskirche :

Als berlinfern aufgewachsener junger Mensch dachte ich vage, der Name Gedächtniskirche sei erst nach der Kriegszerstörung gegeben worden, quasi um als „Nie-wieder-Krieg“-Mahnmal im Gedächtnis zu bleiben. Dass diese Kirche schon vorher Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche geheissen hatte, lernte ich erst später. Auch hatte ich angenommen, die Kirche sei alt, was ein weiterer Grund gewesen wäre, sie in jeglichem Zustand zu erhalten und in Ehren zu halten. Nichts davon stimmt: die neoromanische > Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche wurde zwischen 1891 bis 1895 im Auftrag des damaligen deutschen Kaisers Wilhelm II. nach den Entwürfen von Franz Schwechten erbaut, um eine Gedenkstätte zu Ehren seines Großvaters Wilhelm I. schaffen, was auch bei der Innengestaltung seinen Niederschlag gefunden hat, denn es handelt sich um Darstellungen vom Leben des Kaisers und der Kriege während seiner Ära, mit religöser Symbolik verbrämt – der kirchliche Gedanke zum bigotten Denkmal pervertiert. Immerhin hatte anlässlich der Ausschreibung des Kirchenprojekts 1957 der Architekt Egon Eiermann selbige, weil er einen Abriss des „Hohlen Zahns“ vorzuschlagen wagte. Dazu hatte man sich aber nicht überwinden können, es soll auf Druck der Öffentlickeit zum Kompromiss gekommen sein: statt dessen umbaute man die Ruine mit dem in kantiger Optik trotzig kontrastierenden Kirchenensemble der Neuen Gedächtniskirche und erklärte den monumentalen Rest zum Mahnmal gegen den Krieg. Mittlerweile ist das Gesamte denkmalgeschützt. Als Berlin-Tourist kommt man nicht daran vorbei es anzusehen, aber was man sich dabei denkt, ist wahrscheinlich höchst unterschiedlich.

6 Gedanken zu “Fünf nach zehn an der Gedächtniskirche

  1. Der gesamte Gebäudekomplex wirkt unentschieden bzw. unentschlossen zwischen Alt und Neu, Erinnern und Nach-Vorne-Blicken. Aber das gehört irgendwie zu Berlin …

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    • Wenn der Entwurf der Neuen Gedächtniskirche zunächst den Abriss der alten Kaiser-Wilhelm-Kultstätte vorgesehen hatte, wird der Architekt Egon Eiermann zur Erfüllung der Wünsche von deren Anhängern vermutlich zunächst mit den Zähnen geknirscht haben, aber besser als er konnte man wohl den schlichten Glauben nicht der anderen, heute anmassend wirkenden Überzeugung vom gottbegnadeten Kaiser gegenüberstellen.

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