Gent – erster Stadtbummel, linksherum (1)

2015-08-21 BELGIEN 3_Gent (16) Sint VeerlepleinDer Platz Sint-Veerleplein hat seinen Namen nach der Hofkirche St. Veerle, die bis 1581 der Burg Gravensteen gegenüber gestanden hatte. Heute sind dort die Häuser auf dem Foto zu sehen. Danach wurde dieser zwischen den beiden Flüssen Lieve und Leie gelegene Platz zum alte Fischmarkt, de Oude vismijn mit festen Ständen und einer Markthalle; das eindrucksvolle Torhaus rechts im Bild wurde 1689 im Rokokostil gebaut. Einen späteren Brand im 19. Jh. überstand nur die Figur des Neptun, die beiden anderen Figuren wurden erst danach bei der Wiederherstellung hinzugefügt. Später wird es in weiteren Beiträgen davon noch bessere Bilder geben, doch mir liegt auch die Tagebuch-Form am Herzen.

Das „Linksherum“ in der Überschrift soll bedeuten: aus der Haustür des denkmalgeschützten alten Hauses N°2 mit Namen De Waterzooi auf den Sint-Veerleplein genannten Platz herausgetreten und, nach diesem rückwärts gewandten Start-Foto, links in die Rekelingstraat eingebogen und zur Hoofdbrug genannten, nächstgelegenen Brücke über das Flüsschen Lieve gegangen:

Die Brücke über die Lieve verbindet zwei mit verschiedenen Strassennamen benannte Teile, die Rekelingstraat mit der Burgstraat. Der Name der Brücke Hoofdbrug heisst übersetzt „Enthauptungsbrücke“ und erzählt noch von den Hinrichtungen, die bis 1585 auf der Brücke vorgenommen worden sind. Die vielen Menschen, die vor den zahlreichen Lokalen dort sitzen, denken wahrscheinlich eher an ihr Essen und noch mehr an das Trinken, und daran, die Aussicht zu geniessen. Auf den oberen Fotos kann man links eine andere Brücke, die Appelbrug, und dahinter sogar Giebel von alten Häusern an der Graslei sehen und den grossen Turm der Sankt Nikolaus-Kirche, auf dem rechten Bild ein Stück der Burg Gravensteen und die Häuser des historischen Stadtbereichs Prinsenhof an den Ufern links und rechts der Lieve.

2015-08-21 BELGIEN 3_Gent (22) Gravensteen+Lieve (v.d. Hoofdbrug)Hierneben ist die Burg der Grafen von Flandern vom Ende der Brücke aus noch einmal richtig schön zu sehen:
Der Gravensteen ist eine der größten Wasserburgen Europas aus dem 12. Jh., erbaut auf den Resten älterer Befestigungen, deren erste noch aus Holz gebaut war und von den Wikingern stammen soll. Vom 12.-14. Jh. residierten die Grafen von Flandern dort, danach zogen sie den ‚Prinzenhof‘ als Wohnstatt vor, und auf der Burg wurden nur noch große Feste, Gerichtsbarkeit und die Sitzungen des Rates der Stadt abgehalten, bis ins 18. Jh. hinein. 1780 wurde die Burg verkauft und in eine Textilfabrik umgewandelt, nach der Französischen Revolution erneut verkauft an eine Baumwollspinnerei.
Auch wenn man den Anblick heute romantisch findet – in einem solchen Gemäuer müssen die Arbeitsumstände für maschinelles Weben oder Spinnen noch ärger gewesen sein, als in der frühen Textilindustrie ohnehin üblich, so dass die Abrisspläne Ende des 19. Jhs. nicht verwundern. Die Stadt Gent konnte aber durch Kauf die Burg davor bewahren und sie wurde zunächst notdürftig erhalten, dann, hundert Jahre später, umfassend restauriert und in ein Waffen- und Gerichtsbarkeitsmuseum umgewandelt. In den Tagen meines Aufenthalts diente die Burg ausserdem gerade einem Filmteam als Kulisse für einen „Emperor“ genannten Film über den in Gent geborenen Kaiser Karl V. (1500-1558) mit Adrian Brody in der Titelrolle. Aber ich greife schon wieder vor, denn am Abend des 21. August 2015 habe ich die Burg zwar im Vorbeigehen fotografiert und den LKW des Filmteams stehen sehen, habe mich aber nicht länger damit aufgehalten, sondern bin am Ende der Hoofdbrug / Enthauptungsbrücke von der Burgstraat in die Jan Breydelstraat hineingegangen:

Auch gab es Restaurants und Kneipen dicht an dicht in den alten Giebelhäusern; alle waren um diese Zeit gut besucht, sowohl die Innenräume als auch draussen, denn das Wetter war immer noch schön. So ging es weiter Richtung der bekannten Altstadt-Ufer der Leie, vorher warf ich einen Blick von der kleinen Appelbrug genannten Fussgängerbrücke die Rückseite der Häuser entlang über das Wasser der Lieve zurück Richtung Hooftbrug, über die ich zehn Minuten vorher gegangen war. Die Appelbrug ist keine traditionelle Brücke Gents. Bis vor fünf Jahren hatte es zwischen Enthauptungsbrücke und dem Zusammenfluss von Lieve und Leie nie eine Brücke gegeben.

Dicht daneben gibt es eine kleine, gestufte und schattige Stelle mit Bäumen und Grün an der Jan Breydelstraat, von der man einen Blick auf das Zusammentreffen der beiden Flüsse hat, nach der neuen Brücke wurde es Appelbrugparkje genannt, und diese Stelle ist auch für die Unterteilung der Abschnitte meines ersten Stadtbummels in Gent günstig, bevor es nach der Einmündung der Jan Breydelstraat in die Korenlei an der Grasbrug wieder mit viel zu vielen Eindrücken weitergeht. Die hebe ich mir für den nächsten Artikel auf. Wer mag, kann sich inzwischen über > GoogleMaps ein bisschen orientieren.

8 Gedanken zu “Gent – erster Stadtbummel, linksherum (1)

    • Es würde genauso Stoff für einen historischen Roman hergeben, so eine Geschichte um Textilarbeiter in der Burg zu spinnen wie einen Film über einen Kaiser. Das Genre ist nur so 80er und out, wenn nicht auch noch Vampire und Werwölfe drin vorkommen, dass es sich wohl keiner vornehmen wird.

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    • Must be fantastic due to your local knowledge, Alix.
      This first evening promenade was more amazing because of it’s surprises then the quality of light. I am glad you enjoy, these photos and the pictures to come soon. 🙂

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  1. Nee, Werwölfe und Vampire, die auf Textilarbeiter treffen….ich weiß ja nicht 😉 Es sei denn, die Textiler fressen welche von den Vampiren und die Wölfe stehen an den Maschinen. Oder so. Ähnlich.

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    • Wenn sie ihrerseits nach einem Biss nicht anders können … Das wäre anscheinend gerade modern, wenn ich mir die derzeitigen Vorlieben der jungen Frauen bei Kitschromanen, Filmen und tv-Serien vor Augen halte. Drrrrama und Leidenschaft mit einem Hauch Gruft…. Was zu einer Burg hervoragend passen würde, in der einige Jahrhunderte mit Spezialinstrumenten gefoltert wurde, bevor man auf dampfbetriebene Maschinen zur Textilerzeugung umgestiegen ist.

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