Vom Blindsein füreinander

An der 26. Runde von > Myriades Impulswerkstatt März – April 2024 beteilige ich mich mit einem weiteren Beitrag, diesmal ausgehend vom Mosaikstück 1: „Wenn ein Blinder einen Blinden führt, fallen beide in die Grube“.
Das gefiel mir nicht, aber es wollte mir auch nicht aus dem Kopf. Also ist es heute an der Reihe.

2024-04-29 Stable Diffusion KI 00019-720366928Aufgrund einer christlichen Erziehung meldete sich beim Lesen des Zitats der selten benutzte, aber noch intakte Bibelzitat-Detektor im Gedächtnis.
Der Gegencheck im Netz benannte die Stelle mit „Matthäus 15,14“. Das bedeutet: der Satz ist der 14. Vers aus dem 15. Kapitel des Matthäus-Evangeliums.
Ebenso schnell verursachte der als solcher entlarvte Bibelvers, der aus dem Zusammenhang genommen besagt, dass zwei Blinde unbedingt eines leitenden Sehenden bedürften, um nicht ins Verderben zu laufen, in mir einen starken Widerspruchswunsch gegen den Führungsanspruch bzw. die Deutungshoheit, schon seit ich ihn Anfang März gelesen habe. Höchste Zeit, dem nachzugehen.

Dass im praktischen Leben zwei Sehbehinderte oder auf andere Weise eingeschränkte Menschen einander sehr wohl helfen können, auch wenn es keine einfache Sache ist, weiss man inzwischen besser, bzw. ist in der Umsetzung wahrscheinlicher geworden als zu Zeiten der Verfasser, die am Matthäus-Evangelium geschrieben haben.
Doch diese kirchlichen Autoren verfolgten ohnehin andere Zielsetzungen: das Durchsetzen einer ganzen Weltanschauung, die Begründung für eine religiöse Lehre. Im Ursprung und Zusammenhang wandte sich die zitierte Stelle gegen die damaligen Glaubenshierarchien, aber später ging es doch um nichts anderes als um die Erklärung dessen, dass es nur die richtigen sein mussten. Jeder Lebende kennt die unselige machtpolitische Geschichte des Christentums und so lehrt die Geschichte wieder einmal, selbst gute Absichten zu fürchten, wenn sie mit einem Anspruch vertreten werden.

Wie wäre es aber, im Sinne der Impulswerkstatt den Satz aus dem religiösen oder ideologischen Kontext zu lösen und ihn auf das direkte Zwischenmenschliche anzuwenden?
Menschen sollten sich ihres unzulänglichen Blicks auf einander und die Umstände, des Wegsehens, Übersehens und all des vorsätzlichen Ignorierens gewahr werden, die Fallgruben im Umgang miteinander erkennen. Es gilt, im positiven Sinne ein Bewusstsein für seine eigene Persönlichkeit und ihr Verhältnis zu Anderen weiterzuentwickeln, Kommunikation und Verständnis, und wo einem das nicht gelingt, nicht abzustürzen in Feindseligkeiten.

Um das zu bebildern, habe ich mir grafische KI zum Hilfsmittel gewählt, denn meine Fähigkeiten, die richtigen Stichworte bzw. Prompts zusammenzustellen, sind besser als meine zeichnerischen Möglichkeiten.
So entstanden Bilder, die andere Interpretationsmöglichkeiten von zwei lediglich im übertragenen, nicht körperlichen Sinne „Blinden“, Wegsehenden oder einander nicht zugewandt Wahrnehmenden zum Ausdruck bringen.
Welche Gründe sie dafür haben, mag sich der Betrachter selbst ausmalen. Ich habe ihnen deswegen absichtlich keine Titel zugeordnet. Man kann alle Bilder zum Vergrössern anklicken und sie dadurch auch einzeln ansehen.

Es sind insgesamt elf Bilder, das oben eingefügte und die zehn in der Galerie sind Ausführungen meiner verbalen Vorgaben, den sogenannten Prompts, durch das KI-Programm Stable Diffusion, mit Schönheitskorrekturen und der Auswahl durch von mir gesehene Interpretationsmöglichkeiten.

8 Gedanken zu “Vom Blindsein füreinander

  1. Deine Interpretation des Bibelverses klingt überzeugend, liebe Heide, doch scheint mir, dass der Kontext gerade das Umgekehrte zeigen will: denn was genau steht dort? „Lasst euch nicht einschüchtern! Sie wollen Blinde führen, sind aber selbst blind. ….“ Diese blinden Blindenführer sind die Dogmatiker, die Pharisäer, die sich selbst als Sehende verstehen und sich selbst ermächtigen, das als blind bezeichnete Volk zu führen. Jesus sagt: Werdet sehend, anstatt euch von Blinden führen zu lassen. Es ist ein Aufruf zur Selbstermächtigung.

    Auf heute übertragen wäre es die Aufforderung, nicht blind den Anordnungen von Regierenden zu folgen, sondern selbst zu einem Urteil zu kommen und der „selbstverschuldeten Unmündigkeit“ (Kant) eine Absage zu erteilen.

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  2. Interessant und nachvollziehbar finde ich deine Überlegungen und verstehe deine Ablehnung und Kritik gut. Zwar muss man bedenken, dass die Verfasser der Evangelien eine sehr viel direktere Sprache hatten als unsereiner heutzutage, aber auch ich finde im alten wie im neuen Testament viele Stellen über die ich diskutieren würde, wenn ich denn hier eine Religionsdiskussion führen wollte, was ich eindeutig nicht will. Auch anderswo nicht, Religion ist für mich eindeutig Privatsache.

    Also die KI-Bilder werden immer besser! Da sind einige dabei, die mir richtig gut gefallen. Nicht als „für eine KI gar nicht schlecht“ sondern richtig gut. Du musst wirklich ein Talent fürs Prompten haben. Wenn ich denke was für kitschige, klischeehafte, blutrünstige Bilder ich schon gesehen habe, die sich mit deinen nicht vergleichen lassen.

    Ich bin sehr begeistert von der Anzahl der Beiträge zu diesem Durchgang der Impulswerkstatt und du hast dazu auch sehr substantiell beigetragen. Vielen Dank für diesen und die anderen Texte und Bilder!

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  3. Vielen Dank, Myriade! So sehe ich es auch und wäre es nicht meine Begründung dafür, dass ich erstmal damit ringen musste, bis ich eine Möglichkeit des Umgangs damit fand, wäre ich auf den Bezug nicht eingegangen. Weil dies aber meine persönliche Sachen ist, braucht es in der Hinsicht keine Ergänzungen, die am weiter unten darauf folgenden Anliegen und meiner gewonnen Sicht auf diese Thema schlussendlich vorbeigehen. Was auch wieder passt. Ich wünsche eine gute Nacht! 🥱

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  4. Zwei Bedürftige können sich führen, wenn

    • sie sich dabei freundschaftlich und rücksichtsvoll verbunden bleiben.
    • wenn keine Ego-Auswüchse für böses Blut sorgen.
    • nicht einer vermeintlich oder tatsächlich schneller ist und den anderen zurück lässt.

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    • Danke, Reiner! Das gilt in jedem erdenklichen Sinne, deshalb sind die drei Punkte die beste Ergänzung, ganz gleich, um welcher Art der Bedürftigkeit es sich handelt.

      Jeder hat seine eigenen Bedürftigkeiten in sich verborgen, auch wenn manche nicht in sich hineinhorchen und das erkennen mögen, sondern sich nur an anderen Menschen ausagieren.
      Ich wünsche dir einen guten Morgen! 🙂

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