Das Brüsseler Stadtgebiet ist insgesamt erstaunlich hügelig, was für interessante Sichtachsen sorgt, und der Koudenberg ist einer der höheren von diesen Hügeln. Auf ihm hatten seit dem 12. Jh. verschiedene Herrscher residiert, bis das alte Schloss 1731 einem Grossbrand zum Opfer fiel. Erst dreissig Jahre später, angeregt von Charles-Alexandre de Lorraine, ordnete Kaiserin Maria Theresia an, dort wieder etwas Repräsentatives aufbauen zu lassen.
> Place Royale heisst der große rechteckige Platz heute, um den das im vorigen Eintrag schon erwähnte repräsentative Ensemble aus neun Gebäuden angeordnet ist, das zwischen 1775 und 1782 von den französischen Architekten Jean-Benoît-Vincent Barré und Barnabé Guimard neben dem königlichen Palast auf dem Koudenberg im Rahmen eines grossen Neugestaltungsprojekts entworfen und umgesetzt worden ist.
Der Name des Platzes wurde mehrfach geändert, wie auch die Figur in dessen Mitte: Place de Lorraine wurde er zu Beginn genannt, nach dem von der Kaiserin eingesetzten Gouverneur Charles-Alexandre de Lorraine, zu dessen Ehren auch eine Statue aufgestellt wurde. Allerdings hat man diese während der Französischen Revolution vom Place de la Liberté wieder weggenommen, zu Geldmünzen verarbeitet und durch einen Freiheitsbaum ersetzt, der seinerseits bereits 1814 mit dem Sieg über Napoleon auch wieder entfernt wurde. Während der politischen Entwicklungphase des heutigen Belgiens und darüber hinaus blieb die Stelle bis 1848 leer, dann wurde das Reiterstandbild des legendären Kreuzfahrers und ‚idealen Ritters‘ Gottfried von Bouillon auf der Place Royale aufgestellt, das auch auf mehreren meiner Fotos im Beitrag zu sehen ist. Der Bildhauer Louis-Eugène Simonis hat das Reiterstandbild geschaffen, der Sockel aus Ardennenstein wurde entworfen vom belgischen Architekten Tilman-François Suys, 1897 wurden diesem Sockel durch den Brüsseler Bildhauer Guillaume De Groot zwei bronzene Halbreliefs hinzugefügt.
Auf diesem Platz wurde am 21. Juli 1831 die Krönungszeremonie für Prinz Leopold von Sachsen-Coburg zum König von Belgien gefeiert, daher der Name ‚Place Royale‘.
Im Hintergrund lässt sich rechts am Bildrand die Arkade vom vorigen Eintrag erkennen, der Portique de la Rue de Namur , in der Mitte ein säulengeschmückter Portikus mit Kirchturm-Kuppel dahinter erkennen, diese beiden gehören zur Église Saint Jaques sur Coudenberg, der St.-Jakobskirche auf dem Koudenberg, im Hôtel de Coudenberg links davon befindet sich heutzutage der Grondwettelijk Hof, das belgische Verfassungsgericht.
Der neoklassische Kirchenbau ersetzt eine mittelalterliche Klosterkirche gleichen Namens, die auf Geheiss Charles Alexander de Lorraine zugunsten des neuen Großprojekts abgerissen worden war; jener legte auch persönlich 1776 den Grundstein für die neue Kirche, deren Äußeres dem Gesamtentwurf von Barré und Guimard entspricht und zwischen die beiden Hôtels de Coudenberg gefügt wurde, als bestünde das Ganze aus einem Stück. 1780 wurde der imposante Portikus fertiggestellt, die Innengestaltung unter Leitung des belgischen Architekten Louis Montoyer bis 1786. Die Kirche diente dann sowohl als Pfarr- als auch Klosterkirche und war zudem die offizielle Kirche der Gouverneure der Habsburger. Louis Montoyer wurde wenig später zum österreichisch-wienerischen Ehrenbürger und Hofarchitekten von Kaiser Franz II. ernannt.
Nach der Annexion der Österreichischen Niederlande durch die 1. Französische Republik wurde die Kirche 1795 zum Tempel der Vernunft erklärt, im Jahr 1802 wieder dem katholischen Gottesdienst gewidmet.
Das ‚Auge der Vernunft‘ auf dem Giebel des Portikus wurde erst 1851 durch den Fresco des belgischen Malers Jean-François Portaels ersetzt. Den Kirchturm bekam Saint Jaques sur Coudenberg schon zwei Jahre zuvor, 1849, durch den belgischen Architekten Tilman-François Suys. Das Bild hierunter zeigt einen Blick durch den Eingang in deren Innenraum:
Von der nordöstlichen Ecke des Place Royale aus hat man, zwischen dem Hôtel Grimbergen und dem Hôtel Bellevue hindurch eine über zwei Kilometer langezogene Sichtachse entlang der Rue Royale bis hin zur Église Royale Sainte-Marie im Stadtteil Schaerbeek, die Marienkirche im romanisch-byzantinischen Stil aus dem 19. Jh. :
Stark gezoomt und unscharf, aber eben eine faszinierende Aussicht. Auch in entgegengesetzter Richtung blickt man bis zu einem ebenfalls kuppelgekrönten Bauwerk, zwischen dem Hôtel de Templeuve und dem Hôtel des Brasseurs hindurch kann man einen knappen Kilometer die Rue de la Régence entlang bis zum Justizpalast am Place Poelaert sehen:
In Blickrichtung des reitenden Gottfried von Bouillon und seines Pferdes hat man die grandioseste Aussicht, zwischen dem Hôtel du Lotto und dem Hôtel de Spangen die hügelabwärts verlaufende Rue Montagne de la Cour entlang, über den Jardin du Mont des Arts hinweg, der später noch zu sehen sein wird, auf Dächer, Türme und Kuppeln des Teils der Brüsseler Innenstadt, die ein braver Tourist eigentlich besuchen sollte, wie Börse, Manneken-Pis und den Grossen Markt – nur ich leider diesmal nicht, ich bin nur später noch einmal über die Rue de Montagne de la Cour den Koudenberg weiter hinunter gegangen, um von dort noch mehr sehen zu können als hier neben dem Ritter Gottfried :
Das Hôtel de Spangen (rechts im Bild) gehörte, obwohl baulich-optisch Teil des Gesamtensembles, bei seiner Entstehung 1776-1777 als Privatbesitz dem Grafen von Spangen und diente infolge verschiedenen Zwecken.
Das Hôtel du Lotto auf der linken Seite beherbergt heutzutage das Magritte Museum, also das dem belgischen Maler René Magritte gewidmete Museum. Als es 1776-1778 gebaut worden war, beherbergte es seinem Namen gemäß tatsächlich die kaiserlich-königliche Lottogesellschaft der österreichisch-habsburgischen Niederlande. Noch weiter links davon überbrückt die Arkade des Portique de la Rue du Musée die kleine, in einen Innenhof führende Strasse zwischen dem Hôtel du Lotto und dem Hôtel des Brasseurs und würde, wenn man nicht hindurchgeht, den Blick auf das Allegorien-geschmückte Halbrund des Palais de Charles de Lorraine verbergen, aber ich bin ja neugierig hindurchgegangen:
Karl-Alexander von Lothringen, Gouverneur des österreichischen Hauses Habsburg, durch Eheschließung mit deren Schwester Maria Anna verschwägert mit Kaiserin Maria Theresia und verwandt mit deren Gemahl Franz Stephan von Lothringen, hatte 1757 den Sitz der Familie von Nassau gekauft und es durch ein repräsentativeres Palais ersetzen lassen. Da er gern ein üppiges Leben geführt hatte, verstarb er 1780 verschuldet und sein Besitz fiel an den österreichischen Kaiser Josef II., so dass die Residenz Karl Alexanders von Lothringen offiziell dem Gesamt-Komplex zugefügt und später auch baulich angepasst wurde. Heute gehört dieser Teil mit dem Museum des 18. Jahrhunderts darin zur Königlichen Bibliothek.
Mein Foto ist unten wegen veranstaltungsbedingt parkender Fahrzeuge abgeschnitten, die den dahinterliegenden barocken Empfangsbereich unansehnlich verstellt hatten. Um welche Veranstaltung es sich dabei handelte, wird im nächsten Eintrag zu sehen sein. – Diese Fotos sind vom Nachmittag des 21. August 2015 auf dem Koudenberg in Brüssel, Belgien gemacht.
Wie schön dein blog ist! Ich komme gern zum Stöbern her, zum Mitreisen in bekannte und fremde Städte und zum Anschauen von dem, was auch dazu gehört: Blumen, kleine Schmetterlinge…
Herzliche Feiertagsgrüße sendet dir
Marlis
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Vielen Dank, liebe Marlies und sonnige, etwas dunstige Herbstgrüße aus dem Wendland! 🙂
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Thank you for the beautiful pictures puzzleblume. I once spent a week in Brussels, my car broke down and I stayed in an old hotel where Me and my pary of 4 were the only guests…spooky! We had such fun sightseeing, the train station. the lovely cafes, the Grande Place (so beautiful at night)…thank you for letting me relive some of these moments.
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Seems to have been good for unforgettably special memories, no usual travelling could give. Thank you, Heartafire 🙂
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Oh it was splendid over there! Thank you!
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